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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

2/2014: Ja wenn es Kroatien wäre

Hallo ###USER_email###,

wahrscheinlich interessiert uns nicht, was die nordkoreanischen Machthaber ihren Bürgern antun. Auch der aktuelle Bericht der Uno wird wenig daran ändern. Es ist zu weit weg.

Ist es nicht. Wenn man zur rechten Zeit am rechten Ort ist. So wie ich im Mai 2002: Entspannt im Flieger sitzend, Business-Class nach Tokyo, gegen die Langeweile allerfeinste Häppchen kauend, ein schläfriges Auge auf den Nachrichten, die am Bildschirm vorüberhuschen... Plötzlich fällt mir auf, dass es immer dieselbe Szene ist:

Ein Grüppchen läuft zu einem halboffenen Metalltor. Der große junge Mann rennt wie von Teufeln gehetzt und verschwindet im Inneren. Die Frau mit dem Kleinkind am Rücken wird abgefangen. Grünuniformierte kämpfen mit ihr; die Frau klammert sich ans Tor und an den Gürtel eines Polizisten, geht zu Boden, das Kind rutscht ihr vom Rücken.

Mein Interesse ist erwacht: Ich warte, ob der junge Vater zurückkommt. Dass seine Frau und Tochter es durch das Tor nicht geschafft haben, wird er wohl gesehen haben. Oder hat ihn die blinde Hast so weit rennen lassen, dass er es nicht bemerken konnte? Aber vielleicht haben die beiden es ja vorher abgesprochen: Wer durchkommt bleibt, damit wenigstens einer aus der Familie die Chance hat, Asyl zu beantragen und die anderen nachzuholen. Dass es sich um das japanische Konsulat in der norchinesischen Stadt Shenyang handelt, in das fünf Nordkoreaner flüchten wollten, wissen wir zu dieser Zeit noch nicht. Aber auch so ist uns klar, dass hier eine Menschengruppe um ihr Leben gerannt und dass es schief gegangen ist.

Was wir auf unserem Flug nach Tokyo sehen, geht als ‚Shenyang Incident’ in die Geschichtsschreibung binationaler und internationaler Aufregungen ein: Am 8. Mai 2002, nachmittags um 14 Uhr, schaffen es zwei Nordkoreaner bis ins Visabüro und setzen sich auf eine Bank. Dort werden sie von chinesischen Polizisten ergriffen und abgeführt.

Japanisches Hoheitsgebiet. Chinesische Polizisten. Das geht gar nicht. Entsprechend groß ist die Empörung in Japan. Übrigens auch in China. Südkorea und die EU gießen zusätzlich fleißig Öl ins Feuer. Nach wenigen Tagen rudern die japanischen Behörden allerdings zurück: Offenbar hat die Belegschaft des Konsulates chinesische Hilfe angefordert.

Während mein Begleiter und ich in Japan ein dichtes Vortragsprogramm absolvieren, Gespräche führen, das Land bereisen, schauen und staunen, fragt sich die Welt, warum China und Japan so erbittert um die Flüchtlinge streiten. Eigentlich wollen sie sie doch beide nicht. China befürchtet politische Schwierigkeiten: Weil es mit Nordkorea verbündet ist, muss es Flüchtlinge zurückschicken. Doch damit setzt es sie einer Bestrafung durch nordkoreanische Hardliner aus, was Chinas großem Ziel – nämlich der Stärkung seiner internationalen Reputation - absolut nicht dienlich wäre. Zum anderen fürchten sie einen Massenansturm minder qualifizierter Arbeitskräfte, der das chinesische System auf dem Weg vom rückständigen Agrarstaat zum modernen Technologiestaat erdrücken würde. Auch Japan will die nordkoreanischen Flüchtlinge nicht: Die homogene japanische Gesellschaft hat traditionell wenig Durchlässigkeit für Ausländer, schon gar solchen aus Ländern mit geringem Prestige. Und Koreaner sind so ziemlich das letzte, das man sich wünscht.

Die Flüchtlinge sitzen derweil in chinesischem Gewahrsam. Wann immer möglich, logge ich mich ins Internet und verfolge die aktuelle Entwicklung; wir besorgen uns englischsprachige Zeitungen und analysieren die Berichterstattung; wir fragen unsere japanischen Freunde aus, soweit sich das in dieser heiklen Lage einigermaßen diplomatisch machen lässt. Um die Kaskaden des Shenyang Incident vor dem Kontrastprogramm unserer wunderbaren japanischen Reise zu festzuhalten, mache ich pausenlos Notizen.

Mutter, Vater, Kind, Oma und Onkel nach der Ankunft in Seoul.

Vierzehn Tage später ist der Streit zwar nicht beigelegt, aber die Familie Kim wird in eine Maschine nach Manila gesetzt. Von dort nach Seoul. Der direkte Flug wäre zwar wesentlich kürzer, geht aber aus politischen Gründen nicht.

Von Seoul werden die Fünf für ein paar Monate in ein Trainingszentrum für Menschen aus der Steinzeit gebracht, die ihr künftiges Leben in der kapitalistischen Welt verbringen wollen: Wie eröffnet man ein Bankkonto? Wie bewirbt man sich? Wie kauft man am Markt ein – wo man vielleicht sogar handeln muss? Wie verwendet man einen Computer, die Fernbedienung am Fernseher, eine Waschmaschine oder ein Handy? Und wie heißen alle diese neuen Dinge, die in Nordkorea unbekannt sind? Die Flüchtlinge werden auf ein unauffälliges Leben vorbereitet: Sie sollen sich sicher in ihrem neuen Umfeld bewegen können, sich selbst versorgen, sich auch sprachlich anpassen. Nur dann haben sie eine Chance, mit dem pulsierenden Leben in Südkorea zurecht zu kommen. Denn Arbeitslosigkeit ist das größte Problem nach der gelungenen Flucht. Rund die Hälfte der Nordkoreaner, die es nach Südkorea geschafft haben, sind ohne Arbeit oder haben nur unqualifizierte Teilzeitjobs. Sie können im Wettbewerb nicht bestehen, fühlen sich von jedermann betrogen und von ihren Mitmenschen diskriminiert.

Symbolfarbe Pink: Wie die Blüten des Strauches Mugunghwa (Hibiscus syriacus), steht in Korea für Ausdauer, Fleiß und überwundene Entbehrungen.

Auf unserem Rückflug steckt ein dickes Bündel Notizen in meiner Tasche; Fotos, Zeitungsausschnitte, Agenturmeldungen. Zu Hause recherchiere ich weiter und verarbeite es zu einem Buchmanuskript. Doch kein Verlag will es. Amerikanischen und japanischen Herausgebern ist das Thema zu heiß. Für österreichische und deutsche Verlage ist ein nordkoreanisches Flüchtlingsdrama nicht relevant genug: "Ja wenn es Kroatien wäre!"

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