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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

12/2014: Reich mir mal ein Blatt Papier

"First World Problems" kommentiert der Sohn meiner Freundin unser Gezeter über zu spät gekommene Züge, gnadenlose Verkäuferinnen und stumpfsinnige Computerantworten auf empörte Beschwerden. 

So unrecht hat er ja nicht mit seinem Spott.

Daher schaue ich heute auf einen Mann, der sich mit wichtigeren Problemen beschäftigt: Der japanische Architekt Shigeru Ban entwirft in seinen 'Disaster Relief Projects' Gebäude für Katastrophenopfer, Hurrikangeschädigte und Erdbeben-Überlebende: „Architekten arbeiten meistens für privilegierte Auftraggeber, die ihre Macht und ihr Geld durch monumentale Architektur demonstrieren wollen. Solche Monumente entwerfe auch ich sehr gerne; aber sollten wir unsere angesammelte Erfahrung und unser Wissen nicht vor allem für die Mehrheit der Menschen einsetzen und besonders für diejenigen, deren Häuser Naturkatastrophen zum Opfer gefallen sind?“ Notunterkünfte müssen also nicht hässlich sein - Ästhetik und Effizienz sind nur scheinbar Widersprüche.

So baute er beispielsweise für die Stadt L’Aquila in den Abbruzzen eine Konzerthalle nach dem Erdbeben von 2009, für ein Fischerdorf in Sri Lanka 45 Wohnhäuser, für die chinesische Stadt Chengdu neun temporäre Schulräume und im neuseeländischen Christchurch nach dem Erdbeben von 2011 eine Kathedrale für 700 Menschen.

Christchurch: Die so genannte ‚Cardboard Cathedral’ wurde schnell zum neuen Symbol der Stadt.

‚Cardboard’ – Pappkarton – ist seit mehr als 20 Jahren Shigeru Bans Baumaterial. Er verwendet es in Form von Pappröhren, wie wir sie beispielsweise als Versandverpackungen kennen. Die ‚Cardboard Cathedral’ wurde aus 96 riesigen und vielen kleinen Kartonagenröhren konstruiert; der Unterbau des Gebäudes besteht aus Containern; auch Holz kam zum Einsatz. Die Pappröhren sind leicht, äußerst stabil und langlebig, wasserdicht (wie Tetrapack für Getränke es beweist) und feuerfest. Und sie haben den großen Vorteil, lokal produziert und ggf. lokal entsorgt zu werden.

Seine humanitären Projekte finanziert der Architekt Ban durch ‚normale’ Aufträge finanzstarker Bauherren. So hat er für die Expo 2000 in Hannover den spektakulären japanischen Pavillon entwickelt – wiederum aus Pappröhren -, einen (dauerhaften) Pavillon für die Architektursammlung eines Schlossherrn in Frankreich und ein luxuriöses Ferienhaus in Montana. Die Liste seiner 'monumentalen' Gebäude ist imposant.

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Baumaterial muss normalerweise behördlich genehmigt sein. Aber „die Behörden haben keinerlei Erfahrungen mit Papier- und Pappkonstruktionen und wollen sich damit auch nicht auseinandersetzen. Die Normen und Gesetze sind veraltet, und zwar ... überall auf der Welt. Der Bewilligungsprozess ist extrem kompliziert.“ So gesehen ist es in Krisensituationen leichter, mit neuen Werkstoffen zu bauen; die Stabilität und Haltbarkeit dieser Konstruktionen kann Ban’s Büro in Gesprächen mit Baubehörden später als Beweise ins Treffen führen.

Hat dieser Star auch Allüren? Das Intellektuellen-Magazin 'The New Yorker' witzelt darüber, dass er bei Flügen ausschließlich auf Platz 1 in der 1. Reihe zu sitzen wünscht. Und ein anderer Tribut ans Klischee des Stararchitekten ist sein ewiges schwarzes Outfit, das seine Mutter für ihn entwirft.

Für seine "eleganten und innovativen Arbeiten für private Auftraggeber ... (sowie) seine kreative Verwendung unkonventioneller Materialien bei vielen Hilfsaktionen in Krisengebieten" hat Ban in diesem Jahr den 'Architektur-Oscar', den Pritzker Preis, erhalten. Weiter heißt es in der Begründung: „Wo andere unüberwindbare Herausforderungen sehen mögen, sieht Ban einen Aufruf zum Handeln. Wo andere einen bewährten Pfad nehmen mögen, sieht er die Möglichkeit zur Innovation.“

P.S. Das befreundete 'Kind', dessen Spott ich mir zu Herzen genommen habe, wird in wenigen Monaten nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem der ärmsten Länder der Welt antreten.

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