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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

10/2015: Hugo Bossens neuste Hose

Heute kann ich nur wenig schreiben, denn ich bin sehr in Eile.

Ich muss nämlich stopfen.

Löcher. Genauer gesagt: Mottenlöcher.

Quelle: www.psd-schaedlingsbekaempfung.de

Während unsereins im vergangenen heißen Sommer schon auf die flüchtigste Erwähnung von ‚Wolle‘ mit dem dringenden Bedürfnis nach einer Doppelportion Eis-mit-Schlag reagierte, fühlten sich die Vertreter der Spezies Tineola bisselliella zu einem massenhaften Wool-In eingeladen. Obwohl sie biologisch faszinierend sind - wer sonst kann von Keratin leben? -, so hab ich doch keine rechte Freude mit ihnen. Denn ihr Eat-as-much-as-you-can führt mich in ein klassisches Dilemma: Tobys mottenzerfressene Kaschmir-Pullover einfach wegschmeissen oder mich auf mühsames Stopfen einlassen?

Ich entscheide mich fürs Stopfen. Moralische Unterstützung erhalte ich aus Thérèse de Dillmonts ‚Encyclopaedie der weiblichen Handarbeiten‘ von 1886: „Das Ausbessern der Wäsche und Kleider ist zwar eine wenig lohnende, aber dennoch sehr nothwendige Kenntnis, die keiner Frauenhand fremd sein sollte. Die Kunst, Schäden, die durch die Benützung oder durch Unvorsichtigkeit entstanden sind, möglichst zu verbergen ist gewiss ebenso hoch anzuschlagen, als die tadellose Ausführung neuer Gegenstände.“

Quelle: http://disney.wikia.com/

Während also meine treusorgende Frauenhand die Nadel durch die Löcher zieht, unterhält mich Toby mit Werken des unvergesslichen P. G. Wodehouse. Langsam arbeiten wir uns durch seine 15 Blandings-Castle-Romane, 14 Jeeves-und-Bertie-Romane, 2 Psmith-Romane und jede Menge Sonstiges. „Die Liste von Wodehouses Anhängern reicht von Bertolt Brecht und Daniel Kehlmann über Douglas Adams und Neil Gaiman bis zu Tony Blair und der englischen Königinmutter. Auch die Rockmusiker Lemmy Kilmister und Sting sind bekennende Wodehouse-Leser“, erfahre ich von Wikipedia. Ob auch sie dabei gestopft haben, ist leider noch nicht abschließend geklärt.

Quelle: Sammlung Brauner-Baumgartner

Die gestopfte Stelle soll so unsichtbar wie möglich sein. Das ist bei einfarbigen Pullis eher eine Frage der Geduld als des Geschicks. Anders bei gemusterten oder gewebten Stücken, bei denen das Verlorengegangene kunstvoll imitiert werden muss.

 

Schöne Handarbeitsbeispiele waren jüngst in Gertrud Brauner-Baumgartners Ausstellung ‚Nadel, Faden, Fingerhut‘ (Fuhrwerkerhaus Eichgraben) zu sehen. Die Textilkünstlerin sammelt seit Jahrzehnten Knöpfe und Nähmaschinen, Spitzen und Monogrammbänder, Zwirne, Garne und Wolle, Nadeln fürs Nähen, Stricken, Häkeln und Klöppeln, und was sich sonst noch an Zeugnissen textiler Kulturtechniken bewahren lässt. Ihr Traum ist ein eigenes Museum.

Die Mottenplage ist kein Einzelschicksal. Im Internet werden jede Menge Tipps ausgetauscht (Lavendel, Kampfer, Zederhölzchen, Schlupfwespen .…). Dazwischen fragt eine frustrierte Userin, ob Motten eigentlich auch irgendeinen Nutzen haben. Die Antworten fallen dürftig aus, es findet sich kein Fürsprecher ("sie leben einfach so vor sich hin").

Nicht einmal viele Künstler lassen sich von ihnen inspirieren. Während es sogar die Ameisen zu einem ehrenvollen Auftritt bei Joachim Ringelnatz geschafft haben, bleibt das Feld für die Kleidermotte noch weitgehend unbespielt. Lediglich der deutsche Mathematiklehrer Arne Baier (*1970) hat sich mit ihnen befasst:

„Wollte mir was Gutes tun“

spricht die flotte Motte. --- „Nun,
erst fraß ich mich rasend schnell

durch ein Röckchen von Chanel.
Dann verschmauste – kein Getratsche! -

ich ein T-Shirt von Versace
sowie quasi en passant

noch ein Hemd (Yves Saint Laurent)
und zum Abschluss von der Chose

Hugo Bossens neuste Hose.
Ich versteh ihn nicht, den Rummel.

Schmecken alle gleich, die Fummel …“

(Quelle: Die Deutsche Gedichtebibliothek)

P.S. Mein Freund John Veit-Wilson kommentierte die Frage nach dem Nutzen der Motten nachträglich wie folgt:

"The point of moths in the greater natural selection scheme of things is that if they didn’t exist the globe would be enveloped in a layer of discarded fleeces from sheep millions of years old onwards and would look like an overflowing washing machine with permanent bubbles. And think how warm it would be!"


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