Interview:

„Für das 'Dritte Reich' hab ich mich nie interessiert!"

 

Die nach eigener Aussage an Politik und Geschichte früher wenig interessierte Journalistin und Schriftstellerin Susanne Krejsa stößt zufällig auf den Augenzeugenbericht einer missglückten Flucht aus dem besetzten Dänemark. Im Interview erzählt sie, wie sich dadurch ihr Leben geändert hat und was sie sich von ihren Lesern erhofft.

 

Sie sind zu sechst, fünf Männer und eine Frau, die in der Nacht vom 10. auf den 11. April 1945 mit einem Fischerboot den Öresund übersetzen wollen, um den deutschen Besatzern zu entkommen. Die Distanz Kopenhagen - Malmö ist nicht weit, für uns eine gute halbe Stunde mit der Fähre oder über die Brücke. Zwei der sechs sind namentlich bekannt: Der deutsche SS-Anwalt Helmut Pfeiffer, 38 Jahre alt, und die kroatische Übersetzerin Mirjana Tomljenovic-Markovic, 29 Jahre. Die anderen vier stammen aus Polen, drei davon sind Juden. Jeder weitere Hinweis auf ihre Identität und ihr späteres Schicksal ist – vorläufig -  vom Dunkel der Geschichte verschluckt.

 

Die Flucht misslingt; das Boot wird von den Deutschen entdeckt und aufgebracht. Die Insassen werden in Kopenhagens Gestapo-Hauptquartier zurücktransportiert und von dort ins Westgefängnis verlegt. Das Urteil steht schnell fest: Exekution am 25. April 1945. „Hierzu ist es jedoch infolge der sich überstürzenden Kriegsereignisse nicht mehr gekommen“. Mirjana und die polnischen Männer überleben das Kriegsende am 8. Mai 1945. Auch Helmut Pfeiffer sollte hingerichtet werden, ist aber bereits am 17. April nach Verhören und Schlägen zu Tode gekommen.

 

Wie ist es, unvermutet auf eine Zeugenaussage von 1945 zu stoßen, die einem dann den Schlaf raubt?

Ich höre noch jetzt in meinen Ohren das Herzklopfen, während ich diese Schilderungen gelesen habe. Ich spüre das Grauen, das in mir aufgestiegen ist. Ich bekam Furcht, in etwas hineingezogen zu werden, das ich gar nicht wissen wollte. Die Gräuel des 2. Weltkrieges waren mir zwar bekannt, doch es war gewiss nicht mein Thema. Der Krieg betraf mich nicht; wir hatten niemanden Nahen verloren; meine Familie hatte zwar gehungert, gelitten und gezittert, aber keine der besonderen Grausamkeiten erleiden müssen. Als ich zur Welt kam, war der Krieg längst vorbei.

 

Aber Sie haben sich dann doch weiter damit beschäftigt?

Anfangs war nur meine Neugierde angestachelt. Ich wollte mehr über diesen Anwalt wissen und ich wollte herausfinden, von wem die Zeugenaussage stammte. Ich habe Erfahrung im Finden von Dokumenten in Archiven und Bibliotheken und ich bin hartnäckig. Es gab also keinen Grund, warum ich das Rätsel nicht schnell lösen und mich dann ‚interessanteren’ Themen zuwenden könnte.

 

Das hat aber nicht geklappt. Sie arbeiten auch noch nach drei Jahren daran.

Es kamen zwei Dinge zusammen: Zum ersten handelt es sich um einen Allerweltsnamen – Helmut Pfeiffer – zu dem man viele Details braucht, um ihn zweifelsfrei zu identifizieren, zum anderen hatte ich einen Bericht in der Hand, durch den unvermutet eine Unbekannte vor mich hin trat und so plastisch und gleichzeitig so emotionslos ein Schicksal beschrieb, dass ich ihn einfach nicht weglegen konnte. Ich will wissen, wer die anderen Männer waren, die nur durch einen großen Zufall überlebt haben.

 

Was konnten Sie herausfinden?

Sehr viel oder sehr wenig – wie man’s nimmt. Alle meine Vermutungen über die vier Männer haben sich im Lauf der Recherchen in Luft aufgelöst. Ich weiß noch immer nicht, wer sie waren. Ich hoffe darauf, das Menschen mein Buch lesen werden, die sich erinnern, gehört zu haben, dass jemand erwähnt hat, davon zu wissen, dass ...... Irgendwo auf der Welt muss es Menschen geben, deren Großväter ihr Leben dem Helmut Pfeiffer verdanken.

Helmut Pfeiffer, 1944, Foto: Bundesarchiv

Über Helmut Pfeiffer habe ich hingegen relativ viel herausgefunden. Er wurde am 2. November 1907 in Westfalen geboren, studierte Jus, trat 1932 in die NSDAP ein, war ab 1936 in Berlin, zuerst im Büro des Bevollmächtigten des Generalgouvernements, ab 1941 Generalsekretär der Internationalen Rechtskammer und ab 1942 Hauptsturmführer im Auslandsnachrichtendienst. Alle Fakten habe ich auf Wikipedia gesetzt, um vielleicht neue Informationen zu bekommen (http://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Pfeiffer).

 

Woher wissen Sie, dass Helmut Pfeiffer aktiv Menschen gerettet hat und dass die vier polnischen Flüchtlinge nicht nur zufällig im selben Boot saßen?

Ich habe sehr ausführliche Zeugenaussagen gefunden und alle darin behaupteten Details überprüfen können. Ich habe also auch in Bezug auf die vier Männer keinen Zweifel, dass die Aussagen der Wahrheit entsprechen. Aber es fehlen mir die konkreten Details.

 

Was geschah mit der kroatischen Übersetzerin?

Sie war mit Helmut Pfeiffer verlobt. Nach dem Krieg verliert sich ihre Spur und taucht nur noch einmal im Jahr 2007 in Venezuela auf. Sie ist noch schwieriger zu finden als er, wohl weil sie weniger wichtig war. Bei ihm bin ich wenigstens schon einmal am Grab in Kopenhagen gestanden.


Gibt es weitere Gerettete?

Zum Vergrößern anklicken. (Wolfgang Knoll, 2010)

Ganz konkret gibt es die Rettung der Berliner Apothekerfamilie Dr. Fritz Silten und Ilse Teppich-Silten sowie ihrer kleinen Tochter Ruth Gabriele. Sie überlebten Theresienstadt dank Pfeiffers Interventionen und dem Geld ihres Lübecker Geschäftsfreundes Heinrich Dräger. Gabriele Silten lebt heute in Kalifornien; wir sind in Kontakt.

Außerdem hat er mehrfach für die Familie Dr. Philipp Kozower aus Berlin interveniert, die ebenfalls in Theresienstadt war. Er kam aber zu spät – sie waren schon nach Auschwitz geschickt worden und dort umgekommen.

 

Wie sachkundig können Sie Ihr Thema behandeln?

Ich bin unwissend aber lernbegierig, das ist ein guter Zugang. Beim Recherchieren und Schreiben stelle ich die Fragen, die Leser interessieren. Weil ich keine Historikerin bin, weiß ich die Antworten noch nicht, muss sie noch nicht wissen. Ich brauch mich daher nicht zu genieren, brauche nicht mit Wissen zu protzen, muss niemandem etwas beweisen. Ich sehe mich Stellvertreter meiner künftigen Leser, denen vor der Lektüre auch viele der beschriebenen Umstände ganz unbekannt waren.

 

Was ist die größte Schwierigkeit bei dieser Arbeit?

Ich muss öfter unterbrechen, wenn ich es nicht mehr aushalten kann. In kurzer Zeit und sehr geballt nehme ich eine Fülle von Büchern und Berichten aus der und über die NS-Zeit in mich auf. Weil daher der ganze Wust an Schrecklichkeiten auf einmal über mich hereinbricht, schlafe ich schlecht, träume schrecklich, fürchte mich, werde traurig. Dann muss ich an etwas anderem arbeiten, bis ich Abstand gewonnen habe.

 

Karteikarten im Dänischen Rigsarkivet, Kopenhagen

Die zweite Schwierigkeit ist, mich nicht vom Hauptweg abbringen zu lassen, nicht in eine der vielen möglichen Parallelgeschichten abzuzweigen, die ebenfalls interessant sind und es wert wären, erzählt, gelesen und gewusst zu werden. Die Suche nach Helmut Pfeiffer ist mühselig; sie taugt nicht als Vorlage für einen spannenden TV-Geschichtskrimi, in dem nach eineinhalb Stunden das Rätsel gelöst ist und wir wissen, welches die Guten sind und welches die Bösen.

 

Was ist Ihr größter Gewinn bei dieser Arbeit?

Mein Wissen über das Dritte Reich ist exponentiell angestiegen. Ich habe Dinge verstanden, die mir vorher unbekannt waren. Ich bin zu den Schauplätzen von Pfeiffers Leben und Sterben gereist, habe durch die Recherchen sehr viele Menschen kennen gelernt, bekomme Unterstützung, Tipps und Hilfe aus der Fachwelt und halte meine Familie ständig mit aktuellen detektivischen Erkenntnissen oder Frustrationen in Spannung.


Vielleicht finden Sie die näheren Umstände von Helmut Pfeiffers Wandlung vom Überzeugten zum Zweifler und schließlich zum Retter nie heraus. Vielleicht können Sie die Details der Flucht nach Schweden niemals aufklären.

Mein Buch heißt ‚Spurensuche. Der NS-Anwalt und Judenretter Helmut Pfeiffer.“ Es ist die erzählende Dokumentation einer Suche. Auch wenn ich die letzten Wahrheiten nicht herausfinde, kann ich inzwischen trotzdem so viel über ihn erzählen, dass es ihm vielleicht zu Gerechtigkeit und Ehre gereichen wird.