Adieu, Du Liebliche! (2011)

Wenn ich an Lübeck denke – so kurz nach meinem Abschied schon voller Wehmut – sehe ich Farben: Zuerst einmal Grün; Grün wie Drägerpark und Stadtpark, Grün wie die Vorgärten in ‚meinem’ St. Jürgen, Grün wie die Ufer von Trave, Kanal und dem Mühlenbach.

 

Dann Gelb, wie die gelben Seerosen auf der Wakenitz. Ich sehe luftiges Weiß: Wo ich herkomme, sind Kirchen innen schwer und dunkel von katholischem Barock, gegen das auch die vielen blakenden Kerzenflammen kaum ankommen. Keiner hatte mich vorbereitet auf das wunderbare protestantische Weiß von Dom, Marien, Petri und all den anderen! Und Rot: Das warme Rot der Backstein-Portale, im Sonnenlicht wirklich so schön wie auf den Kalenderfotos von Thomas Radbruch.

Und überhaupt: Diese Portale. Woher haben die Lübecker nach der Bombennacht von 1942 nur die Zuversicht geschöpft, sie inmitten ihrer Trümmerhaufen nicht ebenfalls einstürzen und umfallen zu lassen, sondern sie aufzufangen, zu schienen, zu stützen und zum Symbol eines neuen Anfangs zu machen? Die dicken Fotodokumentationen im Archiv von St. Annen haben mir erst klar gemacht, wie viel Kraft nötig war, sich neben der Sorge um das eigene Wohnen und Überleben auch noch um die Stadterhaltung zu kümmern.

 

Was mir nach den Farben als nächstes einfällt, sind die Strassen und Plätze. Nicht allen trauere ich nach. Die Pflastersteine am Marktplatz sind nicht freundlich zu High Heels, aber kulturhistorisch wertvoll, deshalb lasse ich sie gelten. Beim Koberg bin ich mir hingegen nicht so sicher. Sein Pflaster soll sogar schon (politisch hochstehende) Radfahrer zu Fall gebracht haben. Ich bin ja nun nicht mehr da um mitzuerleben, ob wirklich alles besser wird am Koberg, aber zumindest anders wird es – wieder einmal, zum wievielten Mal eigentlich schon?

Jedenfalls wirklich besser geworden ist Lübecks Weihnachtsbeleuchtung. Um 2500 Euro verkauft, leuchten die früheren grässlichen Lichtelemente ja nun in der weit entfernten Stadt Heide.

Das gönne ich denen, obwohl ich noch niemals dort war. Dort gibt’s sicher keine so malerischen Fassaden wie bei uns in Lübeck, die lichttechnisch liebevoll unterstrichen werden sollen statt von aufgeregtem Design in den Schatten gedrängt zu sein.


Möglichst gleich bleiben soll hingegen die Jürgen-Wullenvewer-Strasse auf Marli – vielleicht stimmt es ja, dass die Anwohner Jahr für Jahr dafür bezahlen, dass der Strassenbelag wieder nicht repariert wird. So halten sie Durchzugsverkehr und Raser auf Distanz.

 

In so vielen Jahren, na was sag ich denn, Jahrenden! – wurde ich zur leidenschaftlichen Verteidigerin des lieblichen Lübeck! Auch wenn die Lieblichkeit bisweilen durch Busgetöse erschüttert wird, wie beispielsweise vor dem Alten Zolln. Nichts hält die eingeborenen Lübecker davon ab, sich sommers unter freiem Himmel um die Holztische der alten Kneipe zu scharen, obwohl die Buslinien 2, 4, 6, 7, 9, 10, 11, 16, 19 und 32 im Minutentakt ihre Biergläser zum Klingen bringen.

Schiffergesellschaft

Wem das missfällt – Was haben Sie gegen unsere Busse? – der kann ausweichen, etwa in die Schiffergesellschaft – dort ist die Dekoration aus Spiegelei, Gürkchen und Matjes wahrlich vom Feinsten, kann aber ohne beigegebenen Labskaus leider nicht geordert werden.


Der Spott soll mir den Abschied leichter machen. So zieh ich geistig meinen Jokingantoch über und lauf noch einmal durch die Stadt, um meine Lieblingsplätze zu besuchen. Ich fahre mit der Hand über die Hörner des kleinen Teufels an Marien, gehe zu Junge konditern - wo es die allerbesten Franzbrötchen der ganzen Welt gibt, ohne Rosinen, mit Rosinen oder mit Schokostückchen, und knusprig süß und fett allemal - und steige bei der ‚Eiche’ in den ehemaligen Salzspeicher hinauf, wo man die wunderbaren lübschen Möbel und Bilder bestaunen – und auch kaufen - kann, wohl auch das Silberbesteck und das feine Geschirr der Familien Hagenström, Buddenbrook und Kröger.

Nun ist die schöne Hansestadt Lübeck um eine Sensation ärmer: Die Was-in-aller-Welt-hat-Sie-in-den-hohen-Norden-verschlagen-Österreicherin, nein nicht bloß Österreicherin sondern sogar leibhaftige Wienerin, hat ihre Teilzeitanwesenheit beendet. Jetzt bleibt sie in Wien und ist dort wieder nur eine unter vielen.