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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

12/2015: So ein Schaf

Mai 1956, Wissenschaftskongress in Neapel. Internationale Teilnehmerschaft, Empfang beim Bürgermeister, Festkonzert, mediale Aufmerksamkeit.

Weil das Thema bevölkerungspolitisch wichtig ist, gibt es sogar einen Sonderzug nach Rom, drei Stunden hin, drei Stunden zurück, der Papst empfängt zur Audienz.

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Nicht alle fahren mit, manche nützen den freien Tag und das schöne Wetter, um sich mit Kollegen auszutauschen oder schwimmen zu gehen.

Wird schon nicht so wichtig sein, was sie beim Papst versäumen.

Für manche aber doch. Der amerikanische Kongresspräsident erinnerte sich: „Der Vatikan hatte geplant, XY in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistung für die Menschheit mit dem Orden vom Heiligen Lamm (Holy Lamb) auszuzeichnen. Dreimal wurde sein Name vom Papst aufgerufen, doch war XY nicht anwesend. Daher wurde ihm dieser ehrenvolle Orden, die höchste vatikanische Auszeichnung, niemals verliehen.“

Blöd gelaufen!

Nach zwei Tagen Nachdenken setzt die Skepsis der Biografin ein:
Kann ein zuerkannter aber nicht verliehener Orden tatsächlich in der Versenkung verschwinden? Eigentlich nicht. Orden werden ja nicht ‚einfach so‘ verteilt. Zuvor werden Vorschlagslisten erstellt, überarbeitet, diskutiert, abgestimmt, Meriten gegen Fehltritte abgewogen, Urkunden in Schönschrift ausgefüllt, unterzeichnet und gesiegelt, Orden geprägt und graviert, Samtkästchen zurechtgelegt etc. Ist der Auszuzeichnende verhindert, wird man wohl eine Ersatzform für die Übergabe suchen.

Wer hat denn sonst noch so diesen Orden bekommen? Der erwartungsvolle Blick in Wikipedia wird enttäuscht: Acht Verdienstorden und Ehrenzeichen werden angeführt - vom Christusorden, der für Staatsoberhäupter vorgesehen ist, bis zum Jerusalem-Pilgerkreuz (drei Klassen) - aber ein Heiliges Lamm kommt nicht vor.

Eine Rückfrage im Wiener Diözesanarchiv bestätigt es: Den erwähnten Orden vom Heiligen Lamm gibt es nicht.

Seltsam.

Warum sollte der Kongresspräsident die Geschichte vom Orden erfunden haben? Die Tatsache, dass XY die Papstaudienz geschwänzt hat, ist belegbar.

Weitere 14 Tage Grübeln.

Dann kommt mir der Zufall zu Hilfe: Ich höre von einer Tagung der Ordensarchivare. Die Teilnahme kann ja nicht schaden und vielleicht wird sie mir dereinst im Jenseits sogar gutgeschrieben. Ich gehe also hin. Bilder werden gezeigt. Eine Darstellung des Agnus Dei (Lamm Gottes) taucht auf. In meinem Hirn beginnt etwas zu rumoren. Wenn man die Erinnerung des amerikanischen Kongresspräsidenten großzügiger interpretiert, könnte es sich beim päpstlichen ‚Orden‘ auch um eine ‚Erinnerungsmedaille‘ handeln und beim ‚Heiligen Lamm’ auch um das ‚Gotteslamm‘. Vielleicht war die Übersetzung, die er erhalten hat, nicht sehr präzise.

Also neuerliche Rückfrage beim stets hilfsbereiten Johann Weissensteiner, Leiter des Wiener Diözesanarchivs. Seine Antwort kommt postwendend:

„Ein ‚Agnus Dei‘ ist eine runde oder ovale Scheibe, ursprünglich aus Wachs, später auch aus Metall, mit der Darstellung eines Lammes mit Kreuzfahne [Lamm (lat. agnus) Gottes (lat. Dei)] als Symbol der Auferstehung. Die Weihe dieser Andachtsstücke erfolgte seit dem 8. Jahrhundert jeweils am Karsamstag durch den Archidiakon in der Lateranbasilika, seit Papst Martin V. (1417–1431) war sie dem Papst vorbehalten. Die Medaillen wurden [und werden] vom Papst an Kirchen und Einzelpersonen abgegeben, waren sehr begehrt und wurden ähnlich wie Reliquien verehrt.“

Das muss es sein! Yippie!

Ein paar Agnus-Dei-Medaillen:

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