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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

5/2022: Bestrickend

Blick von hinten durch unser Arteriensystem

Selten hat der Titel "Fingerübungen" meines Blogs mehr Sinn gemacht als diesmal: Nicht nur Schreiben ist eine Fingerübung, auch Stricken.

Wikipedia erklärt uns, was es ist: Das Herstellen textiler Maschengebilde aus Garnen durch Fadenumschlingung, wobei die Maschen einer Reihe nacheinander gebildet werden.

So schreibe ich also heute über Stricken. Nein, es geht weder um die Protestmassnahme von SchülerInnen und Studierenden in den 1970ern, als während Vorlesungen gestrickt wurde, noch um ein vorwiegend weibliches Hobby, nicht um eine klimaschonende Entspannungstechnik und auch nicht um die Lockdown-verursachte New Culture "Stricken & Brotbacken".

Es geht um Wissensvermittlung mit den Mitteln der Kunst: Dr. Katharina Sabernig strickt (und häkelt) seit 2015 menschliche Anatomie.

Als Ärztin weiß sie, wovon sie spricht: „Das eigene Körperinnere ist eine Sphäre, zu der man selbst keinen direkten sensorischen Zugang hat, trotz des unmittelbaren subjektiven Empfindens“. Mit anderen Worten: Unbekanntland.

Wenn sie und ihre KollegInnen mit PatientInnen über den Körper sprechen, prallen daher unterschiedliche, ja gegensätzliche Vorstellungs- und Wissenswelten aneinander: Objektiv versus subjektiv. Unpersönlich versus vertraut. Wissend versus irrationalen Vorstellungen ausgeliefert. Kompetent versus ängstlich.

Unser Darm. Durch die verschiedenen Farben lassen sich die einzelnen Teile besser unterscheiden

Doch „im Verlauf einer medizinischen Behandlung ist es oft notwendig, Patient*innen zu erklären, was die Diagnose konkret bedeutet oder welche Art von Eingriff durchgeführt werden soll“.

Um sich verständlich zu machen, benutzt die Medizin daher Hilfsmittel: Papier und Zeichenstift, Modelle aus Plastik, Anatomiedarstellungen aus Broschüren, auch mal ein Erklär-Video. „Konventionelle grafische Darstellungen des Körperinneren werden jedoch oft als unangenehm und störend, wenn nicht gar als ekelerregend empfunden.“

Unser Atemwegssystem. Foto Katharina Sabernig

Viel sympathischer, aber auch echter, verständlicher und nachvollziehbarer sind da Sabernigs gestrickte Modelle menschlicher Organe und Organsysteme. Nicht verharmlosend, kein Kuschel-Krebs, aber besser vorstellbar: Beispielsweise das Wachstum erwünschter oder unerwünschter Prozesse, die Verletzlichkeit der Gewebe. Wie soll man beispielsweise das Platzen oder Reißen von Blutgefäßen verstehen können, wenn man auf noch so gelungene Nachbildungen aus Glas oder PVC schaut? 

Oberflächenstruktur und Eigenschaften von Wolle sind hilfreich: Weich, zerreißbar, biologisch „kaputtbar“. Man kann sich darauf einlassen.

Das Nervengeflecht Plexus brachealis zur Versorgung von Arm, Brust und Schulter

Wie anatomisch korrekt und präzise Sabernigs gestrickte Anatomiemodelle sind zeigt sich auch daran, dass sie als Lehr- und Anschauungsmaterial Verwendung finden.

Mit ihrem künstlerisch-wissenschaftlichen Zugang erfüllt Sabernig die Kriterien des aktuellen, auf vier Jahre anberaumten Förderprogrammes zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) (https://www.fwf.ac.at/de/forschungsfoerderung/fwf-programme/peek) des Wissenschaftsfonds (FWF). Ihr soeben genehmigtes Projekt „Knitted Body Materiality" (Projektnummer: AR 705-G) wird am Institut für Kunstwissenschaften, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung der Universität für angewandte Kunst Wien angebunden sein.

Mehr über Mag. Dr. phil. Dr. med. univ. Katharina Sabernig gibt es auf ihrer Homepage.

 

Meine bisherigen 'Fingerübungen' und Newsletter können hier nachgelesen werden. Ich freue mich, wenn sie weiterverbreitet werden!

Meine Fingerübungen kommen hin und wieder, wenn ich etwas zu erzählen habe.
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