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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

6/2022: "Ihr Platz ist bei uns"

Einer von ihnen erhielt wenige Jahre darauf einen Nobelpreis, ein anderer begründete das neue Spezialgebiet Gastroenterologie, in dem es um Diagnostik, Therapie und Prävention von Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts geht. Einer war im Rahmen einer Roten-Kreuz-Expedition zur Forschung auf dem Gebiet der Infektiologie nach Konstantinopel entsandt worden, ein anderer entwickelte ein neuartiges Gastroskop, das noch Jahrzehnte lang Untersuchungen von Speiseröhre und Magen ermöglichte. Einer war ein Pionier der Diabetes-Behandlung mit Insulin, ein anderer war Wegbereiter der Geriatrie.

Sie alle waren Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).

Bis 1933.

Dann wurden sie und viele andere aus der Mitgliederliste gestrichen. Sie verloren ihre Positionen, wurden zur Flucht gezwungen oder inhaftiert, konnten sich im Ausland ein neues Leben aufbauen oder begingen Selbstmord.

Jetzt werden sie zurückgeholt. Denn „Ihr Platz ist bei uns“.

Die ab 1912 schittweise als interdisziplinär und übernational aufgebaute Fachgesellschaft der „Specialärzte für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten“ hat einen eigenen Weg gefunden, ihre Vergangenheit nicht zu "beschweigen": Die 1933 als „nicht-arisch“ eingestuften und daher ausgeschlossenen Mitglieder bekommen ihren Platz zurück. Ihre Beiträge für die Weiterentwicklung des jeweiligen medizinischen Faches werden sichtbar gemacht, ihre Kompetenzen, ihre Verdienste, ihre Leistungen gewürdigt. „Wir sind stolz auf sie“, sagt Harro Jenss, ehemaliger Oberarzt an der Medizinischen Uniklinik in Tübingen und Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin am Spital Waldshut/Südbaden. Heute ist er ehrenamtlichen Archivar der DGVS und Initiator der Initiative Gegen das Vergessen

Ismar Boas, 1927. Quelle: Wikipedia
Otto Loewi, 1936. Quelle: Wikipedia

Die während der NS-Zeit erfolgten "Säuberungen" betrafen fast ein Viertel der DGVS-Mitglieder: Beispielsweise den späteren Nobelpreisträger Otto Loewi (1873 – 1961), den Begründer der Gastroenterologie Ismar Boas (1858 – 1938), den Infektiologen Paul Richard Neukirch (1885 – 1962), der an der Entwicklung eines Fleckfieber-Impfstoffes arbeitete, den Pionier der Insulin-Behandlung Leo Pollak (1878 – 1946), den frühen Vertreter der Geriatrie Hermann Schlesinger (1866 – 1934), Hermann Strauß (1868 – 1944), den „Erfinder“ der angeschliffenen Kanüle, mit dem die massenhafte Blutentnahme überhaupt erst möglich wurde, Rudolf Schindler (1888 – 1968), der noch am 25. 02. 1933 im Bayerischen Staatsanzeiger für die große Innovation gewürdigt worden war, die das semiflexible Gastroskop darstellte.

Hochgeachtete Professoren, Klinikchefs, akademische Lehrer, gesuchte Vortragende und Fachautoren, mehrfach ausgezeichnete Wissenschafter, deutsche Patrioten.

Schritt für Schritt folgt ihnen Harro Jenss, trägt Informationen zusammen, durchforscht Archive und Bibliotheken, findet Familienangehörige. 92 von ihnen konnte er schon online stellen - davon sind 17 Österreicher oder haben hier ihr Studium oder Teile ihrer Fachausbildung absolviert.

Die Homepage www.dgvs-gegen-das-vergessen.de/erinnerungsarbeit/ ist ein offener Gedenkort, wird kontinuierlich um Namen, Daten, Fakten, Publikationen und akademische Leistungen ergänzt. Denn „Ihr Platz ist bei uns.“

Ein ausführliches Gespräch mit Dr. Harro Jenss ist hier nachzuhören.

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Meine Fingerübungen kommen hin und wieder, wenn ich etwas zu erzählen habe.
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