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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

7/2011: Bahnfahren macht hungrig

Seit Flugreisende zwischen Madrid, London und Budapest nur noch zwischen zwei Sorten gefriergetrockneter Silikonpellets wählen können, hat das Bahnfahren wieder seinen Reiz: Man darf essen! Die einen lassen sich die Menukarte aus dem Speisewagen bringen, die anderen holen ihr hartgekochtes Bio-Ei aus der atmungsaktiven Blechdose. Das zeitlich wie inhaltlich individuelle Essen im Zug hat gegenüber dem simultanen Ernährungsprozess im Flugzeug allerdings den Nachteil,  dass einem die vorwurfsvollen Blicke der Nachbarn schon einmal den Bissen im Hals festkleben können. Ganz ganz leise kauen zu müssen, um mit seinen unpassenden Geräuschen das klamme Anschweigen der Mitreisenden nicht zu stören, verleidet sensiblen Essern doch etwas den Appetit.

Ganz anders in Frankreich. Dort geniert man sich nicht, in einem vollbesetzten Coupe als einziger seine knusprigen, krachenden, krümmelnden Baguettes oder Croissons zu essen. Niemand schaut einem quasi in den Mund; man erlebt keine strafenden Blicke.

Japan hat – wie fast alles – auch das Essen im Zug zur Kunstform verfeinert. Man ißt ‚obento’: In einer adretten Box gibt es pikanten kalten Reis, elegant belegt mit gebratenem Fleisch, Tofu, eingelegtem oder eingesalzenem Gemüse, Fisch, Pickles und natürlich Seetang. Damit nichts durcheinander fliegt, unterteilen kleine Stege die Schachtel in Felder. Ess-Stäbchen liegen bei. Bei jeder Haltestelle locken bereits wieder neue regionale ‚obento’-Spezialitäten. Wer ganz stilvoll reist, lässt sich sein ‚obento’ schon zu Hause von einem Nobelrestaurant bereiten. Das entsprechende Kästchen ist dann aus wertvollem Goldlack und nicht bloß aus Pappe.

Bei der Reise quer durch China gibt’s natürlich auch etwas zu essen und zu trinken: Tee hilft gegen Kälte, Hitze, Staub und Langeweile, heißes Wasser wird ständig nachgeliefert. Die buntbemalten Thermoskannen gibt’s auf jedem Markt, trendiger ist ein großer hoher Deckelkorb. Darin steckt eine Porzellankanne mit Trinkschalen, eingepasst in das farbenfrohe Innenleben des Korbes, der auf diese Art sowohl warm hält als auch vor Stößen schützt.

Wer durch Indien reist, darf schon beim Kochen zuschauen – auf der Plattform zwischen den Waggons schmurgelt Balti-Masala Hühnchen, Dhal Palak oder Mughlai Sag in großen Kesseln und Pfannen. Ihre Bestellungen geben Sie bitte beim Zugbegleiter auf.

Dass die Dogen von Venedig auf der Reise Tramezzini gegessen haben, glauben wir gerne. Natürlich nicht die ordinären, dreieckigen, wie unsereins, sondern rechteckige Schnittchen mit so viel quellend fetter Fülle, dass nur die ebenfalls mitgeführten feinen Stoffservietten das Schlimmste von Kleidern und Händen abhalten konnten. Den Laden gibt es noch – Sie finden ihn ganz leicht – er liegt in einer engen Passage, gleich hinter der geschwungenen Brücke.

Sandwiches bekommen Sie auch in großbritannischen Zügen, wenn Sie nächstens nach Windsor  unterwegs sind. Allerdings ist hier nur die dreieckige Form comme il faut. Rye bread klebt zwar ebenfalls pappig am Gaumen, schmeckt aber nicht ganz so fade wie das englische Weißbrot. Die Fülle ist klassisch: Egg-and-Watercress. Für lesser mortals gibt es Cheese-and-Chutney.

Reisende mit Südamerika-Erfahrung berichten, dass der Proviant oft noch zappelt und beißt, der bei jeder Station preiswert durchs Fenster hereingereicht wird. Und außerdem stehen viele wohlschmeckende Tiere auf der Artenschutzliste.

Nicht lebendig, aber ebenfalls beißend ist das, was den Zugsesser in Südafrika erwartet: Tomato Bredie. Es sieht aus wie ein englisches Beef Stew, das gar nicht genug Tomaten bekommen konnte. Was in dem roten Brei grün blitzt, ist gefährlich: Kleine grüne Pfefferschoten können eine unglaubliche Schärfe entwickeln. Man drücke dem Brennenden ein Stück Brot in die Hand, um das Feuer zu löschen. Nach einer guten halben Stunde wird das Opfer seine Bahnfahrt wieder geniessen können.


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