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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

04/2020: Die Welt der Schuhe

„Möchten Sie bei uns arbeiten? Mit einem ansprechenden Plakat wendet sich meine Lieblingskonditorei an Studentinnen, die einen stundenweisen Job suchen. Es zeigt eine schnuckelige junge Dame, das rosa Haarband in ihrer lockigen Haarpracht macht wohl nicht ganz zufällig ein Häschen aus ihr, mit Schwung dreht sie sich in ihrem rosa Kleid, sogar ihre High-Heels sind firmenrosa. „Du benötigst ein sicheres Auftreten“ lautet eine der fünf Aufnahmebedingungen.

Angesichts ihrer halsbrecherisch hohen Absätze ist das ‚sichere Auftreten‘ vielleicht nicht wörtlich gemeint. Warum also High Heels, fragt man sich.

 

„High Heels lassen Frauen langsamer werden und geben den Männern so mehr Zeit, sie anzusehen“, soll der französische Schuhdesigner Christian Louboutin gesagt haben.

Während ich meine heiße Schokolade mit Schlagobers trinke – nirgends schmeckt sie mir so gut wie hier -, beobachte ich die anwesenden Männer. Sie schauen eher in ihre Zeitung als auf das weibliche Personal. Das mag daran liegen, dass die Serviererinnen ihren strapazierten Füssen keine schwindelerregenden High-Heels zumuten, sondern vernünftigerweise zu bewährtem Flachem greifen.

Wenigstens haben sie die Wahl.

https://medium.com/@unseenjapan/kutoo-a-revolt-against-high-heels-in-the-japanese-workplace-6228feb6d2d4

Anders wäre es in Japan. Dort leiden Frauen in vielen Unternehmen unter strengen Bekleidungsvorschriften. Unter dem Hashtag #KuToo (ein Wortspiel zwischen den japanischen Worten kutsu (Schuhe) und kutsuu (Schmerz)) unterschrieben im vorigen Juni mehr als 18.000 Frauen eine Petition, um sich gegen den High-Heel-Zwang ihrer Arbeitgeber zu wehren. Das Gesundheits- und Arbeitsministerium blockte ab: An manchen Arbeitsplätzen seien Schuhe mit hohen Absätzen (für Frauen) „notwendig und angemessen“. Doch vereinzelte Erfolge machen Hoffnung. Japan Airlines erlauben jetzt ihrem weiblichen Personal, die Stöckelschuhe durch Fußfreundliches zu ersetzen. Auch die drei großen Mobilphone-Anbieter haben nachgezogen.

Der Zwang zu unbequemen Stöckelschuhen ist nicht das einzige Diktat japanischer Arbeitgeber. Tatsächlich gibt es in manchen Unternehmen ein Brillenverbot für Frauen, beispielsweise an der Rezeption. Empfangsdamen seien nun mal das „Gesicht der Firma" heißt es, da störe eine Brille. Manche Kosmetikfirma argumentiert zudem, Brillen bei Verkäuferinnen verdeckten das eigene Produkt. Wer keine Kontaktlinsen verträgt, läuft eben blind durch die Welt.

Dress Codes gibt es weltweit in vielen Firmen, was im Sinne eines Weisungsrechtes zulässig ist, aber wo sind die Grenzen? So hat das Landesarbeitsgericht Köln entschieden, die Farbe des Nagellacks gehe den Arbeitgeber nichts an, sehr wohl könne er aber den MitarbeiterInnen das „Tragen von BHs, Bustiers bzw. eines Unterhemdes" vorschreiben, und auch die Farbe der Unterwäsche bestimmen, damit sie nicht durchscheine.

Eine Schweizer Bank verlangt von ihren weiblichen Angestellten sogar „aparte künstliche Fingernägel“, verbietet aber aufdringlichen Schmuck sowie Röcke, die am Popo zu sehr spannen. Ob die Absatzhöhe aus Gesundheitsrücksichten auf 7 cm begrenzt ist oder in Hinblick auf die Konzentrationsfähigkeit der männlichen Kollegen, ist nicht bekannt.

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.prinz-charles-socken-gate-falsche-schublade.494e027c-b972-4efc-98df-b88e1f9ac75c.html

Dress Code will Signale an die Zielgruppen geben; Etikette will Zugehörigkeiten, Einstellungen, vielleicht auch Abgrenzungen festmachen. In britischen Bankerkreisen waren beispielsweise lange Zeit braune Herrenschuhe ein No-Go. „Never brown in town“, lautete die Regel. Der Kolumnist Nicholas Foulkes berichtete in der Financial Times von Gentlemen in seinem Bekanntenkreis, die sogar bei der Jagd ausschließlich schwarze Schuhe trugen. Bis dann Prinz Charles mit seinen kunstvoll gealterten braunen Schuhen (angeblich schwarze Schuhpasta auf braunem Leder) das Weltbild ins Wanken brachte.

Männer ersparen sich blutige Zehen und brennende Fersen, tragen stattdessen Anzug und Krawatte, um ihre Position zu demonstrieren. „Der heutige Typus des Politikers ist durch die ständige Präsenz in den Medien sehr stark von Bildern geprägt“, sagte die ‚Machtexpertin‘ Christine Bauer-Jelinek gegenüber ORF.at. Sie beobachtet „die sogenannten Slim-Fit-Typen in der Politik“: Männer mit schlanken Anzügen, kürzer geschnittenen Hosen, unter denen eventuell bunte Socken hervorblitzen. Dazu eng gehaltene Sakkos. „Sie sehen alle aus, als hätten sie die Anzüge ihrer kleineren Brüder an“, so Bauer-Jelinek. Es handle sich um bewusst gesetzte Signale an Zielgruppen.

„Die starke Verkörperlichung des Politischen hat einen neuen Idealtypus hervorgebracht: den Slim-Fit-Warrior“, sagt Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier. „Damit symbolisieren sie den schlanken, neuen, liberalen, beweglichen, hochgradig individualisierten Kapitalismus“.

Zurück zu High Heels. Für den Designer Louboutin stehen sie für (weibliche) Stärke: „High Heels können eine Frau künstlich größer machen, aber gehen muss sie immer noch allein. Die eigentliche Stärke bringt sie also selbst mit. Eine labile Frau tut sich keine hohen Absätze an. Sie würde dauernd umknicken.“ Kein Wunder bei der Absatzhöhe seiner Kreationen von bis zu 12 Zentimetern. Summer Brennan, Autorin des Buches ‚High Heels‘, nennt Stöckelschuhe im Berufsleben die „Krawatten für Frauen“.

Ein BBC-Bericht sagt: „Wenn High Heels ein patriarchales Instrument sind, um eine Frau zu bremsen, so ist der Aufstieg des Sneakers die perfekte Absage daran.“ Längst sind Turnschuhe auch bei fast allen öffentlichen und beruflichen Anlässen erlaubt. „Es ist vielleicht kein Zufall, dass der Aufstieg der Sneakers mit der neuen Welle des Feminismus zusammenfiel“, schreibt die BBC. Auch Christian Louboutin hat inzwischen Sneakers in seinem Programm: Sogar in Rosa. € 1092,50. Pro Paar.

Jetzt habe ich meine heiße Schokolade ausgetrunken. Bevor ich zahle und gehe, blättere ich noch durch die Angebotsliste meiner Lieblingskonditorei: „Modische Pumps in Pink aus feinster, belgischer Schokolade“ können angefertigt werden, 250 Gramm schwer, gekühlt 6 Monate haltbar, Absatzhöhe nicht angegeben aber eindrucksvoll. Oder dasselbe in Schoko-Braun, genannt „Schoko-Schuh Perlen“, auch Braun mit rosa Punkten („Schoko-Schuh Pink Dot“) wäre möglich.

Ich bin mir nicht sicher, wer die Zielgruppe ist: Schuhfetischisten oder Chocoholics?

Alle Schokoladeschuhe: aida.at

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