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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

11/2022: Schimmel ist schön.

Schimmel aus der Nähe, zum Vergößern biite anklicken (Helga Stein, Köln)

Eigentlich schäme ich mich, es zu sagen: Ich habe etwas im Kühlschrank verschimmeln lassen. Vergessen, übersehen, aus den Augen verloren … Gestern ist es wieder aufgetaucht, vorwurfsvoll an mein schlechtes Gewissen appellierend, denn mit Lebensmitteln sollte man achtsam umgehen.

Aber da ich unlängst auf der Homepage des Agar Art Contest der American Society for Microbiology (ASM) gewesen bin und voller Faszination die großartigen Kunstwerke betrachtet habe, war ich unserer hauseigenen Schimmelzucht gegenüber duldsamer. Ich habe sie nicht gleich in hohem Bogen entsorgt, sondern mir zuerst ein Vergrößerungsglas geholt und das Naturwunder genauer angeschaut.

Der zwischen 1954 und 1957 in Wien-Ottakring erbaute Fleming-Hof mit dem keramischen Mosaik von Günther Baszel.

So ähnlich muss es wohl Alexander Fleming (1881-1955) gegangen sein, als er nach einem Urlaub in sein Labor im Londoner St. Mary’s Hospital zurückkam und sehen musste, dass sich in seinen Bakterienkulturen frecher Schimmel breit gemacht hatte. Sein scharfsinniger Gedankenblitz ist uns allen bekannt – wir haben ihm die Entwicklung des Antibiotikums Penizillin zu verdanken, das nach wie vor auf der WHO-Liste der 100 wichtigsten Medikamente steht.

Fleming war nicht nur Bakteriologe sondern auch Hobbymaler und Mitglied des renommierten Chelsea Künstlerclubs. Es ist nicht überliefert, wie er auf die Idee kam, seine Wasserfarben gegen die Verwendung verschiedener Pigmentierungen und Wuchsformen von Einzellern einzutauschen, also quasi mit Mikroben zu malen. Seine „Werke“ wirken heute simpel, geradezu kindlich: Ballerinas, Häuser, Soldaten, Boxkämpfer, stillende Mütter … Eine kleine Ausstellung, die er für Königin Mary gestaltet hatte, stieß bei ihr auf wenig Begeisterung, eher auf royales Grausen, obwohl er sogar die Nationalfahne des Vereinigten Königreichs „gezüchtet“ hatte.

Seither ist Mikrobial Art zu einer eigenen Kunstrichtung geworden. Schöpfungen in ungeahnter Vielfalt und Perfektion erfreuen uns, jedes Jahr nehmen immer mehr kreative WissenschafterInnen aber auch Laien am ASM-Wettbewerb teil. Waren es zu Beginn (2015) immerhin 83 Einsendungen in 5 Kategorien, so beteiligten sich im Jahr 2021 bereits 323 TeilnehmerInnen aus 31 Ländern. Kommende Woche werden die diesjährigen PreisträgerInnen bekanntgegeben.

Flamingo aus 2 unterschiedlichen Hefen / Regensburg

Mit diesem Wettbewerb soll der Öffentlichkeit die Welt der Mikroorganismen in ihrer Vielfalt und Schönheit nähergebracht werden. Mit Bakterien und Pilzen zu „malen“ klingt simpel: Man nehme eine flach-runde (Plexi-)Glasschale aus Unterteil und Deckel, genannt Petrischale, und fülle sie mit Agar-Agar, einem Geliermittel aus den Zellwänden von Rotalgen, bereits 1882 vom deutschen Mikrobiologen Walther Hesse für Nährböden zur Kultur von Bakterien eingeführt. Die Idee dazu stammte allerdings von seiner Frau Fanny Angelina Hesse, die Agar zur Herstellung von Fruchtgelee und Gemüsesülze verwendete.

Im nächsten Schritt wird der Nährboden mit den Mikroorganismen der entsprechenden Farbe beimpft. Das ist insofern tricky, als man ins Unsichtbare hineinarbeitet: Vom geplanten Bild ist noch nichts zu sehen, denn die Bakterien oder Pilze müssen erst wachsen. Dann sieht man auch, ob man präzise und hygienisch einwandfrei gearbeitet hat, andernfalls ist das entstandene "Werk" unbrauchbar. So ist also neben einer herausragenden künstlerischen Idee auch gute Kenntnis der Materialeigenschaften nötig, damit die verschiedenen Komponenten zum rechten Zeitpunkt zum erhofften „Gemälde“ zusammenwachsen.

Die Teilnahmegründe sind vielfältig. Das Team des Instituts für Labormedizin, Mikrobiologie und Krankenhaushygiene am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg hat 2017 mit einem Flamingo aus zweierlei unterschiedlichen Hefen den 2. Platz errungen. Dazu Andreas Ambrosch, Leitender Arzt: "Unsere Agar-Art Teilnahme steht mehr unter der Rubrik „Teambildung / Kreativität / Spaß an der Arbeit“. Im Labor fand ein regelrechter Wettbewerb statt, die Spannung war groß, da man ja erst nach 24 Stunden-Bebrütungszeit sein Ergebnis sehen konnte. Den Mitarbeitern hat es großen Spaß gemacht, und man lernt präzise und sauber zu arbeiten."

Vulkan „Fu(n)ji-san“ von Isabel Franco Castillo

Anders Norbert W. Hopf, Leiter des Labors für Mikrobiologie an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, dessen Studiengruppe MIA (Microbiology infects Art) beim Agar Art Contest regelmässig Erfolge einheimst: "Ziel unserer Arbeiten ist es nicht, weitere Erkenntnisse für andere Bereiche der Wissenschaft oder deren Anwendung zu erarbeiten. Vielmehr arbeiten wir im Schnittbereich zwischen Mikrobiologie als Wissenschaft, welche uns sowohl die Organismen als auch die Werkzeuge mit ihrem sicheren und gezielten Umgang liefert. Wir entwickeln dabei eigene Plattformtechnologien mit dem Ziel, Kunst zu schaffen."

Kunst mit Mikroben kann sogar extrem dreidimensional sein, wie der Vulkan „Fu(n)ji-san“ einer Preisträgerin von 2019, Isabel Franco Castillo, PhD Studentin am spanischen Instituto de Nanociencia y Materiales de Aragón. Ihr Werk bestand aus einem Agar-Hügel, der mit dem Schimmelpilz Cladosporium cladosporioides beimpft war. Aus seinem Inneren quoll rote Agar-"Lava" hervor. Der "Sand" bestand aus Schimmelsporen und die "Korallen" waren Mikroorganismen, die in einem eingefärbten Agar-"Meer" wuchsen.

Fluoreszierende Friedenstaube von Roderich Römhild

Auch (zumindest) eine Einreichung kommt aus Österreich: Der Evolutionsbiologe Roderich Römhild, nach Stationen an der Christian-Albrechts Universität zu Kiel, dem Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, Plön, und der Universität Uppsala derzeit PostDoc am Institute of Science and Technology Austria, bewarb sich mit einer fluoreszierenden Friedenstaube aus dem Darmbakterium E. coli. Seine Teilnahme geschieht nicht nur aus Spaß. Zum einen geht es um ein politisches Zeichen, zum anderen verwendet er derartige bildhafte Darstellungen gerne in Vorträgen, um den TeilnehmerInnen vor Augen zu führen, welche Strategien er anwendet, um Synergien von Antibiotika zu verstehen und das Entstehen von Bakterien-Resistenzen zu "knacken" bzw. zu blocken. "Resistenzen können sich so schnell entwickeln, man kann den Bakterien im Labor dabei zusehen. Das ist Evolution in Aktion. Ich kann meine Ansätze natürlich auch verbal erläutern, aber Bilder sind oft deutlicher."

Nächste Woche ist es also so weit - die GewinnerInnen aus 5 Kategorien werden bekanntgegeben. Dabei richtet sich der Agar Art Contest nicht nur an Profis, sondern auch an Kinder: Eine Kategorie bewertet Einreichungen von Junior-MikrobiologInnen bis 12 Jahren, eine andere sichtet gemalte Bilder von Junior-MikrobiologInnen bis 12 Jahren.

Die "traditionellen" Kategorien sind offen für auf Agar gezüchtete Mikroben von TeilnehmerInnen, die Zugang zu einem formalen Laborumfeld wie einer Universität oder einem Industrielabor haben und dort ihre Arbeit erstellt haben, sowie für TeilnehmerInnen aus einem informellen Umfeld, etwa aus einem Gemeinschaftslabor oder einem Maker Space.

Und schließlich gibt es noch die Gruppe der Einreichungen, die jegliche Art von Medien verwenden, um das Thema „Mikroben sind schön“ darzustellen.

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Meine Fingerübungen kommen hin und wieder, wenn ich etwas zu erzählen habe.
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