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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

3/2015: Also wie jetzt?

Londons relative Luftfeuchtigkeit liegt im März meist zwischen 70 und 88 Prozent; keine Angst, beruhigen uns die Meteorologen, selten steigt der Wert über 94 Prozent. In Wien beträgt sie beispielsweise heute bloß 54 Prozent.

Dieser Unterschied bereichert unseren innerfamiliären Gedankenaustausch: Während ich weiß, dass vom Frühstück übrig gebliebenes Brot eintrocknen wird, wenn es bis abends draußen liegen bleibt, lebt mein englischer Mann in der ständigen Furcht vor sich rasant ausbreitendem Schimmel.

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Unsere Diskussionen kreisen daher nicht über offen gebliebene Zahnpastatuben sondern über liegen gelassenes Brot oder vertrockneten Käse.

Brot soll mein geplagter Ehemann in Österreich also einwickeln, damit es nicht austrocknet, Blumensträuße hingegen auswickeln, bevor er sie überreicht. Denn da geht’s nicht um das Dilemma „Wollen wir Zwieback oder Schimmel?“ sondern um den Beweis, dass weder eine Schlange noch eine Pistole darin versteckt ist.

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In Großbritannien scheint diese Gefahr stark unterschätzt zu werden.

Weil es die kleinen Alltagserlebnisse sind, die Beziehungen auf die Probe stellen, liefere ich weitere Beispiele aus unserer binationalen Küche. Ich frage den Liebsten: „Du hast keine Milch eingekauft, nicht wahr?“

Die Antwort eines Österreichers würde (schuldbewusst) lauten: „Nein, hab ich nicht.“ Die Antwort (m)eines Engländers hingegen: „Ja.“

Mag schon sein, dass die österreichische Ausdrucksweise der zustimmenden Verneinung grammatikalisch unlogisch ist, aber man (=ich) kennt sich wenigstens aus. Auf sein zustimmendes ‚Ja’ muss ich hingegen nachhaken: „Also wie jetzt? Hast Du oder hast Du nicht?“

Knollensellerie (www.gemuese.ch)
Fenchelknollen

Auch die banale Sellerie kann Anlass zu erstaunlichen Erkenntnissen geben. Denn unter dieser Bezeichnung versteht (m)ein Engländer die Stangensellerie, während ich das erwarte, was auf Hochdeutsch (die) Knollensellerie und am Wiener Naschmarkt (der) Zeller genannt wird. Über unsere diesbezüglich unterschiedliche Sozialisation bin ich aber erst informiert, seit mein Auftrag „bitte kaufe 1 Stangensellerie und 1 runde Sellerie“ zur ratlosen Lieferung eines Fenchelknollens geführt hat.

Die spannenden kleinen Alltagsunterschiede, die völlig unerwartet auftauchen und deren Ursache man erst ergründen muss, lassen sich in keinem Buch nachlesen. Nicht alle sind zum Lachen. Wir stoßen manchmal auf Empfindlichkeiten, die dem anderen nicht sofort einleuchten. So sind etwa wir Österreicher sehr viel mehr auf persönlichen Datenschutz und Schutz des eigenen Fotos bedacht, während ich den Kaufpreis jedes Hauses in Großbritannien ganz leicht herausfinden könnte.

Sollten wir es besichtigen wollen, würde sich ein weiterer nationaler Unterschied zeigen: Unsere Strassen tragen greifbare Namen – Beispiel ‚Triester Strasse’, – wogegen Engländer sich anhand von Strassennummern orientieren. So erntet mein britischer Beifahrer einen hilflosen Blick, wenn er mir empfiehlt, von der L2097 auf die E60 abzubiegen. „Sag doch gleich, dass wir von Dornbach nach Simmering wollen!“

Und schließlich gibt es noch sehr ernste Unterschiede, die uns ein Kapitel Geschichte lehren: Soldatenfriedhöfe sind auf der Insel weitgehend unbekannt – am Kontinent leider ein durchaus vertrautes Bild.

Meine bisherigen 'Fingerübungen' und Newsletter können hier nachgelesen werden. Ich freue mich, wenn sie weiterverbreitet werden!

Meine Fingerübungen kommen hin und wieder, wenn ich etwas zu erzählen habe.
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