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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

5/2016: Ich weiß keine Antwort.

In unserem Haushalt leben wir Arbeitsteilung: Ich kürze seine Hosenbeine, stabilisiere seine ausgefransten Lieblingsjeans für ein weiteres Vierteljahr und saniere ausgerissene Hemdenknöpfe (Männer! Warum könnt Ihr Eure Hemden nicht ordentlich aufknöpfen?).

http://writers-n-dogs.livejournal.com/

Währenddessen liest mein Liebster mir vor. Wieder einmal P.G. Wodehouse, diesmal ‚Pigs on Wings‘. Wieder einmal sind wir verblüfft über Chuzpe und Einfallsreichtum, mit denen er scheinbar aussichtslos verfahrene Situationen auflöst und zu einem guten Ende bringt.
Wie war er wohl im häuslichen Zusammenleben? Kam er vor sich hin kichernd und über seine eigenen Einfälle glucksend aus seinem Arbeitszimmer zum Essen? Durfte er ‚brühwarm‘ darüber berichten, während er Porridge, Mashed Potatoes und Roastbeef in sich schaufelte? Oder gabs ein Stillhalteabkommen bis zum Nachtisch, damit das von seiner Frau Ethel mit Liebe Gekochte nicht gänzlich unbemerkt und ungewürdigt durch seine Speiseröhre rutschte? Und wenn ja, wie hielt er die erzwungene Zurückhaltung aus?

Mir gelingt es hingegen nicht, meine aktuellen Recherche-Erkenntnisse und Schreib-Einfälle bis nach dem Essen zu verschweigen oder den Meinigen überhaupt damit zu verschonen. Es ist doch sooo spannend!

Wie meine lieben Leserinnen und Leser wissen, bin ich derzeit/noch immer an Hermann Knaus dran, dem genialen österreichischen Gynäkologen, dem wir beispielsweise die Kenntnis unserer fruchtbaren Tage verdanken.

Viel Erzählenswertes habe ich zutage gefördert: Schilderungen über seine Heldentaten im 1. Weltkrieg (kletterte auf die Tragfläche eines Flugzeuges, um es zu stabilisieren und so vor dem Absturz zu bewahren), Berichte über seine wissenschaftlichen Beobachtungen und genialen Schlussfolgerungen, zu Herzen Gehendes über seine Freundestreue und sogar ein bißchen Klatsch, den ich natürlich sofort loswerden musste.

So haben mein Liebster (als Zuhörer) und ich (als Schreiberin) viele Mahlzeiten mit Knaus verbracht, währenddessen sich mein Manuskript langsam seiner Vollendung näherte.

Doch die heile Welt unseres Wohnzimmers ist nur EIN Teil der Wahrheit. Wodehouse kam in den Ruf eines politisch Naiven, der sich für Nazi-Propaganda einspannen ließ. Ob es so war, weiß ich nicht; ich muss mich auf das verlassen, was Wikipedia & Co. sagen.

Ehrentafel für berühmte Wissenschafter, Prag

Auch Knaus hat eine politische Vergangenheit, war er doch von 1934 bis 1945 Klinikchef in Prag und seit 1939 Mitglied der NSDAP. Nachdem ich alle seine wissenschaftlichen Artikel und viele Briefe gelesen habe, und vermutlich die gesamte Literatur über ihn kenne, schließe ich mich dem Urteil seiner Zeitgenossen an: Er war an Medizin interessiert und nicht an Politik.

Aber weil man (=ich) nicht loslassen kann und immer weiter herumsurft, um doch noch etwas Neues zu finden, passierte DAS: Ich stieß in Zusammenhang mit ethisch fragwürdigen Studien auf den Namen Hermann Knaus!

Die Publikation schien solide, die Herausgeberinnen sind Universitätsprofessorinnen, die Behauptungen durch Quellenzitate untermauert. Nach einer zergrübelten Nacht untersuche ich die als Quelle erwähnte Literatur: Knaus kommt darin jedoch gar nicht vor. Ich schreibe an die Autorin der (angeblichen) Quelle: Nein, antwortet sie, der Name Knaus sei ihr nicht untergekommen. Ich überprüfe nochmals alle wissenschaftlichen Arbeiten von Knaus, die mit dem Thema in Verbindung stehen: Kein noch so kleiner Hinweis auf die behaupteten Studien an Hingerichteten. Knaus arbeitete mit Kaninchen. Ich schreibe an eine der Herausgeberinnen und bitte um Aufklärung. Nach der dritten Urgenz antwortet sie mir: Die Erwähnung von Knaus stamme von zwei Studierenden, leider habe sie aber den Kontakt zu ihnen verloren.

Was nun? Es steht eine Behauptung im Raum, die ein übles Licht auf einen Wissenschafter wirft. Jemanden in Zusammenhang mit ethisch fragwürdigen Studien der NS-Zeit zu bringen ist leicht, weil niemand daran zweifelt. Ihn von diesem Verdacht zu befreien ist hingegen so gut wie unmöglich. Über die politische Vergangenheit von Wodehouse kann ich kein eigenes Urteil abgeben, über die von Knaus jedoch schon. Doch wie beweist man, dass etwas NICHT stattgefunden hat? Wie macht man es bekannt? Wie erreicht man diejenigen, die die Vorwürfe lesen - und glauben - aber nicht deren Richtigstellung?

Ich weiß darauf keine Antwort.

Meine bisherigen 'Fingerübungen' und Newsletter können hier nachgelesen werden. Ich freue mich, wenn sie weiterverbreitet werden!

Meine Fingerübungen kommen hin und wieder, wenn ich etwas zu erzählen habe.
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