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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

5/2023: Überraschende Statistik.

Ein Ausflug ins Vorarlberger Landesarchiv. Dort wartet schon ein vielversprechender Stapel, den ein hilfsbereiter Archivar für mich vorbereitet hat. Erwartungsvoll blättere und lese ich mich durch allerlei Berichte, Zeitungsartikel, Aufstellungen und Dokumente.

Darunter die „Vorarlberger Landeskorrespondenz vom 25. Oktober 1962". Vom Zahn der Zeit schon etwas benagt und nicht in idealer Position zum Scannen, aber nicht weniger interessant. Voller Stolz wurde darin gemeldet, dass Vorarlberg mit 7,4 Prozent den zweithöchsten Geburtenzugang Österreichs zu verzeichnen hatte: 2954 Buben und 2770 Mädchen.

Dann wird es richtig aufregend: „Die Quote der Unehelichen sank auf 9,2 %. Allerdings sind wieder 69 % aller Kinder, die im ersten Ehejahr geboren wurden, vor Ablauf des neunten Ehemonats zur Welt gekommen.“ Mit anderen Worten, sie wurden "vorehelich gezeugt".

Das mag im katholisch geprägten Vorarlberg der 1960er-Jahre von Interesse gewesen sein, doch wann wurde eigentlich mit dieser moralisierenden Einteilung aufgehört? Anfrage an die Statistikabteilung des Landes Vorarlberg. Nein, zuständig ist das Statistische Zentralamt in Wien. Ich nehme Einblick in das aktuelle Demographische Jahrbuch für Österreich (2021) und falle fast vom Stuhl. Die Zahl der „vorehelich konzipierten" Neugeborenen wird immer noch erhoben: „Der Anteil unehelicher Geburten blieb 2021 mit 41,5 % gegenüber dem Vorjahr relativ konstant. […] Von den 50 352 ehelich Lebendgeborenen des Jahres 2021 waren 5 472 – dies entsprach einem Anteil von 6,4 % an allen Lebendgeborenen – vorehelich konzipiert […].“

Die einzige „Weiterentwicklung“ der aktuellen Statistiken gegenüber dem Jahr 1962 ist der Zeitraum, der Neugeborene als „vorehelich konzipiert“ definiert: Waren es damals 9 Monate vor Eheschließung der Mutter, so sind es heute „nur noch“ die letzten 8 Monate.

Hier wird medizinisches Unwissen offenbar: Frühgeborene Babys sind dank der Fortschritte der Medizin immer früher lebensfähig – theoretisch ab dem 6. Schwangerschaftsmonat –, sodass der untersuchte Zeitraum von 8 Monaten zwischen Eheschließung der Mutter und dem Geburtstermin keinerlei Aussagewert hat.

Trotz aller Zurückhaltung gegenüber politisch belasteten Quellen muss eine im Vergleich „fortschrittliche“ Arbeit von 1936 erwähnt werden: „Als sicher vorehelich gezeugt kann man diejenigen Geborenen ansehen, bei denen die Eheschließung der Eltern frühestens 6 Monate vor der Geburt vollzogen wurde.“

Tatsächlich ist aber die gesamte Unterscheidung in „unehelich“, „ehelich“ und „vorehelich gezeugt“ zumindest heute ohne jegliche Aussagekraft, da sie aufgrund von stark veränderten gesellschaftlichen Modellen (beispielsweise eingetragene Partnerschaften oder „Wilde Ehe“) keine Aussagen zulässt, die für die Gestaltung von Gesundheitspolitik, Bevölkerungspolitik, Wohnbaupolitik, Sozialpolitik, Bildungspolitik etc. relevant wären. Abgesehen davon scheint eine derartige Erhebung moralisch nicht gerechtfertigt, auch wenn hier Gruppenstatistiken und keine Einzelfälle untersucht werden. Alleine die Tatsache, dass die Fragestellung nach „vorehelich konzipierten Neugeborenen“ existiert, stellt eine moralische Bewertung dar.

Bild ID: 20068711, Copyright: Parlamentsdirektion/Hertha Hurnaus

So erhebt sich die Frage nach der gesetzlichen Grundlage für diese Erhebung. Auf meine Anfrage beruft sich das Statistische Zentralamt auf das Personenstandsgesetz samt Durchführungsverordnung. Und natürlich auch das Hebammengesetz (Bundesgesetz über den Hebammenberuf – HebG). Ich wühle mich durch die hilfbereit angegebenen Paragraphen, allerdings ergebnislos: Weder im „Personenstandsgesetz – PStG 2013 (BGBl. I Nr. 16/2013 idgF: relevant § 9, § 20, § 27, § 28 und § 51)" noch in der „Personenstandsgesetz-Durchführungsverordnung 2013 – PStG-DV 2013 (BGBl. II Nr. 324/2013)" werde ich fündig.

Aber vielleicht habe ich etwas überlesen? Ich frage neuerlich nach. Nun lautet die Antwort: Dieses Merkmal wird (nach internationalen Vorgaben) berechnet und ist unabhängig von der tatsächlichen Schwangerschaftsdauer.

Ich habe vom Statistischen Zentralamt aber auch eine Antwort bekommen, die Hoffnung aufkommen läßt: „Sie haben aber natürlich Recht, dass zu hinterfragen ist, ob diese Darstellung noch zeitgemäß ist. Die meisten [...] Studien liegen schon einige Jahre zurück. Wir nehmen daher Ihre Anmerkungen zum Anlass, uns mit diesem Thema eingehender zu beschäftigen und mit Experte:innen zu diskutieren."

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