Jacob E. Polak, der Leibarzt des Schah

Polak war Jude, geboren 1818 in eine wenig begüterte, kinderreiche Familie in Groß-Morzin in Böhmen, mit 14 Jahren verlor er seinen Vater. Doch er hatte auch Glück: „Das Interesse des aufgeklärt-absoluten Staates an der Einführung moderner, unter staatlicher Aufsicht stehender Schulen lag darin, ein wirksames Mittel zur Förderung der Produktivität von Juden zu etablieren und dadurch ihre Integration in die Gesellschaft zu befördern." So profitierte Polak bezüglich seines Schulbesuchs von Joseph II. Toleranzpatent (1781) und bezüglich seines Studiums von einem Hofkanzleidekret von 1782, das Juden erlaubte, Medizin zu studieren. Die ersten vier Studienjahre verbrachte er an der Karl-Ferdinands-Universität in Prag, das Abschlussjahr absolvierte er an der Universität Wien, vermutlich um seinen Beruf in allen Ländern der Donaumonarchie ausüben zu können. Seine Studienzeit fiel nicht nur mit politischen Umbrüchen sondern auch mit medizinischen Aufbrüchen zusammen, nämlich dem Übergang von der noch naturphilosophisch orientierten Humoralmedizin (Galenische Viersäftelehre) zum experimentell-wissenschaftliche ausgerichteten Medizinunterricht. So konnte er bei Professoren wie Joseph Hyrtl, Carl von Rokitansky, Stanislaus von Töltenyi, Ernst von Feuchtersleben, Jakob Kolletschka, Johann N. Raimann, Anton von Roses, Joseph Wattmann und Franz Schuh sowohl die althergebrachten Konzepte als auch neu entwickelte Denk- und Behandlungsmodelle kennenlernen. 1846 promovierte Polak, 1847 erwarb er den Magistergrad in Geburtshilfe sowie in Chirurgie.

 

Im Gegensatz zu den recht guten Möglichkeiten der schulischen und universitären Ausbildung war es für Juden schwierig, eine berufliche Zukunft als Ärzte zu finden: So sprach sich etwa Anton von Roses im Jahr 1842 gegen die angebliche Überpräsenz „israelitischer Ärzte" in Medizin und Wissenschaft aus, die „ja selbst der Menschheit zum Nachtheil" gereiche. Tatsächlich waren in dieser Zeit von 400 praktizierenden Ärzten in Wien nur acht israelitischen Glaubensbekenntnisses. Dennoch wurde jüdischen Ärzten die Niederlassung mit einer Praxis sehr selten genehmigt, und eine dauerhafte Anstellung an einer Universität oder in einem Krankenhaus war für sie de facto unmöglich.

 

Polak überbrückte seine Anfangszeit als Privatarzt in einer mährischen Zuckerfabrik und sammelte Erfahrungen als Choleraarzt, sah sich aber schon seit geraumer Zeit nach Möglichkeiten im Nahen Osten um. Er las mit „lebhaftestem Interesse" die neuesten Reiseberichte über die islamischen Länder und hatte seine Dissertation Mehemet Nafy Efendi, dem damaligen Botschafter des Osmanischen Reiches in Wien, gewidmet. Das Osmanische Reich hatte bereits in den 1830er-Jahren die Notwendigkeit einer modernen Militär- und Medizinschule erkannt und österreichische Mediziner berufen, etwa 1837 den jüdischen Anatomen und Pathologen Sigmund Spitzer. Polak erhielt zwar nicht die erhoffte Anstellung in Konstantinopel, doch wurde seine Bewerbung für eine Stelle am persischen Hof angenommen. Der Chirurg Johann von Dumreicher, und der Mediziner Joseph Dietl, beides namhafte Ärzte der Wiener Schule, hatten ihn empfohlen.

 

Die militärische und technische Überlegenheit der europäischen Großmächte und ihre koloniale Interessenspolitik stellten bis ca. 1830 eine Bedrohung für Persien dar, weshalb sich die herrschende Elite zu Reformen gezwungen sah. Abbas Mirza (1769-1833), Kronprinz und Statthalter der Provinz Aserbaidschan im Nordwesten Persiens, war ein wesentlicher Initiator der Reformpolitik, sowohl im militärischen als auch im medizinischen Bereich. Er ließ sogar sich und allen Mitgliedern der königlichen Familie die neuentwickelte Pockenimpfung verabreichen. Durch seinen frühen Tod wurde die Reformbewegung allerdings unterbrochen.

 

Der nächste Reformer in der Geschichte der Modernisierung Persiens war Amir Kabir (1807-1852). Er wollte durch die Modernisierung des Bildungswesens einer möglichen Fremdbestimmung Persiens durch die europäischen Mächte zuvorkommen. Zunächst sollten Fachkräfte aus Europa geholt werden, um mit dem Aufbau der wissenschaftlichen und technischen Infrastruktur zu beginnen, und zusätzlich sollten Studenten nach Europa geschickt werden, um mit dem erworbenen Wissen die Entwicklung des Landes nach westlichem Modell voranzutreiben. Die Habsburgermonarchie bot sich als Gesprächspartner und Berater für die Modernisierung sowie als Kandidatenpool geradezu an, da sie sich gegenüber Persien neutral verhielt und keine politischen Ambitionen hatte. Im Juli 1851 wurde Polaks Fünfjahresvertrag als Lehrer für Medizin, Anatomie und Chirurgie für die in der Haupt- und Residenzstadt Teheran gegründete Schule unterzeichnet. Er deckte sich ein mit medizinischen Lehrbüchern und anatomischen Präparaten, einem Skelett sowie chirurgischen Instrumenten und chemischen Medikamenten und machte sich auf den Weg. Die Reise an seine neue Wirkungsstätte dauerte vier Monate und war teilweise lebensgefährlich; die Ankunft war desillusionierend, denn die politischen Verhältnisse hatten sich verändert. Zum Glück hatte jedoch Nāser ad-Din Schāh (1831-1896) großes Interesse an der Entstehung der neuen Hochschule und ermöglichte Polak und den anderen fünf angereisten Österreichern die Aufnahme ihrer Arbeit.

 

Polak war 33 Jahre alt und sollte neun Jahre in Teheran bleiben. Die ersten vier Jahre lehrte er an der Hochschule Dar al-Fonun, einer Art Polytechnikum, an dem die Söhne von Angehörigen der königlichen Familie, von Staatsmännern und hochrangigen Offizieren in Wissensbereichen unterrichtet wurden, die in den traditionellen Ausbildungsstätten nicht angeboten wurden. Im Rahmen der Medizinausbildung wurden die Schüler in beide Wissenssystemen eingeführt, in das traditionell-persische und in das moderne westliche. Um von keinem Dolmetscher abhängig zu sein, lernte Polak in kurzer Zeit die Landessprache so weit, dass er seinen Lehrstoff vermitteln konnte. Dank seines Sprachwissens bekam Polak seinerseits Zugang zu medizinischen Traktaten in der persischen Sprache.

 

Polaks großes Verdienst ist seine interkulturelle Vermittlerrolle - in beide Richtungen. Zum einen vermittelte er das Wissen der Wiener Schule der Medizin nach Persien. Das umfasste beispielsweise die moderne medizinische Terminologie, Obduktionen, Einrichtung einer Poliklinik, Krankenbettunterricht und Einsatz der klinischen Medizin in Diagnose und Therapie, Einführung der Narkose. In seiner Lehrtätigkeit verknüpfte er die Erkenntnisse der pathologischen Anatomie mit operativen Eingriffen. In seinem Unterricht und in seinen Lehrbüchern berücksichtigte er aber auch Theorien der traditionellen persischen Medizin, etwa die 'Fieberlehre', ebenso wie er Kapitel über regionale Erkrankungen aufnahm.

 

Nāser ad-Din Schāh, ca. 1870. Foto: Wikipedia

Im Jahre 1855 wurde er zum Leibarzt von Nāser ad-Din Schāh berufen, weshalb er seine Unterrichtstätigkeit aufgeben musste. Aber bei seinen Reisen mit dem Herrscher konnte er verschiedene Regionen Irans kennenlernen, die Menschen in ihrem alltäglichen Leben beobachten und ethnografische Daten sammeln. Während seiner insgesamt neunjährigen Tätigkeit in Persien schickte Polak regelmäßig Briefe und Berichte an die Kollegen in Wien, viele davon wurden in der Wiener Medizinischen Wochenschrift und in der Zeitschrift der k.k. Gesellschaft der Ärzte zu Wien abgedruckt. Neben dem Studium von in Persien verbreiteten Seuchen (Cholera, Typhus), infektiösen Krankheiten (Wechselfieber) und Hautkrankheiten beschrieb er die geografische und topografische Verbreitung bestimmter Krankheiten und stellte meteorologische Beobachtungen an. Darüberhinaus strebte er eine empirische, allumfassende Dokumentation von Land und Menschen an, baute eine botanische Sammlung auf und unternahm geologische sowie zoologische Exkursionen.

 

1860 kehrte Polak nach Wien zurück, heiratete Therese Blumberg und öffnete eine Praxis. Dank seiner Erfahrungen in und Kontakte nach Persien wurde er ein international gefragter Fachmann, unterstützte österreichische und persische Behörden und trat in vielen Bereichen als Vermittler zwischen Österreich-Ungarn und Persien auf, organisierte naturwissenschaftliche Expeditionen, beriet Museen, veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und Beschreibungen, verfasste ein umfassendes ethnographisches Werk und lehrte an der Universität Wien die neupersische Sprache. Er starb im Oktober 1891 und wurde in der jüdischen Abteilung am Wiener Zentralfriedhof bestattet. Das Grab existiert noch, trägt aber nicht mehr den originalen Grabstein; dieser ist im neueröffneten Weltmuseum Wien ausgestellt.

 

Mag. Dr. phil. Afsaneh Gächter ist im Iran geboren und kam 1988 nach Österreich. An der Universität Wien studierte sie Ethnologie, Soziologie und Geschichte. Ihre Forschungsschwerpunkte sind sozio-kulturelle Transformationen im modernen Iran und Wissens- und Kulturtransfer zwischen Europa und Asien. Ähnlich wie Jakob Polak bemüht sich auch Gächter um den Wissenstransfer zwischen Iran und Österreich, indem sie in beiden Ländern publiziert, Vorträge hält und Lehrveranstaltungen organisiert. Sie ist Mitglied des Projektteams der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin, Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die beiden Bände sind das Ergebnis eines Forschungsprojektes, das vom FWF und Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank finanziert wurde.

 

Afsaneh GÄCHTER:

Briefe aus Persien - Jacob E. Polaks medizinische Berichte

Wien: new academic press 2013, 160 Seiten, ISBN 978-3-7003-1867-5, € 25. (Enthält zusätzlich eine Übersetzung der Briefe und der Zusammenfassung ins Englische.)

Der Leibarzt des Schah - Jacob E. Polak 1818-1891 - Eine west-östliche Lebensgeschichte, Wien: new academic press 2019, 284 Seiten, ISBN 978-3-7003-2078-4, € 26,50.

 

Meine Buchbesprechung erschien in den 'Wiener Geschichtsblättern', 3/2019, hrgg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien.