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Aufbau und Bearbeitung von Archiven und Sammlungen
Wiener Naturgeschichten. Vom Museum in die Stratosphäre.
Die roten Ziegelmauern des Arsenals, die ockerfarbigen Sandsteinquader in den U-Bahn-Stationen Burggasse-Stadthalle und Stadtpark, der braune muscheldurchsetzte Atzgersdorfer Stein der Minoritenkirche oder die Granitfassade am Stephansplatz/Ecke Goldschmiedgasse - tausende Male ist man als WienerIn daran vorbeigegangen, ohne ihnen besondere Beachtung zu schenken. Thomas Hofmann von der Geologischen Bundesanstalt und Mathias Harzhauser vom Naturhistorischen Museum werfen hingegen einen berufsgeprägten Blick darauf und zeigen uns, wie vielfältig Wiens geologische Ressourcen sind.
Es gibt noch viel mehr zu sehen, wenn man nur darauf hingewiesen wird: So erinnern die Hochwassermarken beim Eingang zum Augarten in Wien Leopoldstadt sowie unter der Kanzel in der Lichtentaler Kirche an den Eisstoß vom März 1830, dessen Auswirkungen die gesamte Leopoldstadt unter Wasser setzte. Anlass genug, sich eingehender mit der Wiener Hydrosphäre (Seiten 48-52) und der Donauregulierung (Seiten 202-216) zu beschäftigen, der wir letzten Endes auch das Gänsehäufel in Wien Donaustadt zu verdanken haben.
Das Stichwort Wasser führt natürlich auch zu den hierorts sehr populären Walfischen: Seit dem Jahr 1700 existierte ein Gasthaus „Bey den Wallfisch“, nach dem die heutige Walfischgasse im 1. Bezirk benannt ist. Doch das war nicht das einzige: Eine ganze Reihe von Wal(l)fischhäusern lassen sich seit dem 18. Jahrhundert nachweisen. „So gesehen waren die riesigen Meeressäuger in der einstigen Reichshaupt- und Residenzstadt durchaus weit verbreitet, und Wale waren bei Weitem keine unbekannten Tiere, wenngleich sie noch niemand gesehen hatte.“ (S 116). Ganz stimmt das allerdings nicht, denn im Jahr 1838 kam ein Walfisch-Skelett auf seiner Tour durch zahlreiche Städte Europas auch nach Wien. Und im April 1889 wurde hier ein 30.000 Kilogramm schwerer Wal ausgestellt, begann aber bald so zu stinken, dass er „entsorgt“ werden musste. Seine Unterkieferknochen sind im Naturhistorischen Museum gelandet. Auch das Wien Museum besitzt einen Wal, allerdings aus Blech, der zuvor das Wahrzeichen eines Prater-Restaurants gewesen war. Und schließlich gibt es noch ein Wal-Graffito unter der Friedensbrücke am Donaukanal. (Seiten 114-127)
Nicht ganz so lieb wie Walfische haben die Wienerinnen und Wiener Echsen, Frösche, Kröten, Lurche und andere Kriechtiere. Umso erstaunlicher ist die Amphibienvielfalt am Karl-Borromäus-Brunnen in Wien Landstrasse. Gestaltet wurde er um 1904 von Josef Engelhart, Mitbegründer, Förderer und Präsident der Künstlervereinigung Secession. Als Vorlage für den in Bronze gegossenen Artenreichtum dienten ihm Sammlungsobjekte aus dem reichen Bestand des Naturhistorischen Museums. (Seiten 108-113)
In ganz andere Sphären holen uns die Autoren mit dem Kapitel „Wiener Spitzen“, in dem es um das Wiener Wetter und den täglichen Aufstieg der Wetterballons von der Zentralanstalt für Meteorologie geht. Auch eingefleischte Wienerinnen und Wiener werden noch nie vom Ballonfüllhaus auf der Hohen Warte in Wien Döbling und von der Teilnahme am internationalen Datenaustausch gehört haben. (Seiten 32-37)
Rund ein Sechstel der Wiener Gesamtfläche besteht aus Grünfläche, im Jahr 2020 wurde Wien unter 100 Metropolen Sieger im Ranking „The World's 10 Greenest Cities“. Es besteht also auch kein Mangel an Erzählenswertem aus Flora und Fauna. Seit 1781 ein hier entdeckter Sandlaufkäfer auf den wissenschaftlichen Namen Cylindera arenaria viennensis „getauft“ wurde, tragen rund 120 Lebewesen entsprechende Bezüge zu Wien, darunter ein Erdfloh, ein Tintenfisch, eine Robbe und ein Hamster. (Nachzulesen in einer Serie der Tageszeitung Falter vom November 2021)
Nur einem einzigen Wiener wurde bisher auch die Ehre des Namenspatrons zuteil, nämlich dem früheren stellvertretenden Tiergartendirektor und Regenwaldhausleiter Harald Schwammer: Die im Jahr 2010 entdeckte winzige Borneo-Schnecke Schwammeria, deren Bau sich so stark von dem aller anderen Schneckenarten unterscheidet, dass sie eine eigene Gattung eröffneten. (Nachzulesen auf der Homepage des Tiergartens Schönbrunn)
Die Autoren haben viel zu erzählen, erstaunliche, unerwartete, wissenswerte, faszinierende Facetten der Naturgeschichte Wiens. An manchen Stellen hätte man ihren Redeschwall eindämmen und ihre Detailverliebtheit beschränken können („Die digitale Kopie schickte Stephen aus seiner Wahlheimat Neuseeland“), aber schreiben wir es ihrer wissenschaftlichen Genauigkeit zu.
P.S. Natürlich begegnet uns auch Wiens Langzeitbürgermeister (von 1994 bis 2018) Michael Häupl, promovierter Biologe und in seinen Anfangsjahren in der herpetologischen Sammlung des Naturhistorischen Museums tätig.
Thomas Hofmann - Mathias Harzhauser: Wiener Naturgeschichten. Vom Museum in die Stratosphäre, Wien: Böhlau 2021, 223 Seiten, ISBN 978-3-205-21383-3, € 35,-. Auch als E-Book (PDF) erhältlich.
Meine Buchbesprechung erschien in den 'Wiener Geschichtsblättern', 2/2022, hrgg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien.
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