Susanne Krejsa MacManus

"Mir kommt kein Tier ins Haus!"

„Mir kommt kein Tier ins Haus“, sagte mein ansonsten sehr naturliebender Vater, wenn wir um ein Haustier bettelten. Theoretisch hatte er mit seinen Bedenken recht – regelmäßige Betreuung, Fallhöhe aus dem Fenster vom 4. Stockwerk etc. Trotzdem beherbergten wir im Lauf der Jahre Goldhamster, eine Schildkröte, Schnecken, Meerschweinchen und eine aus dem Nest gefallene Meise. Über jede/n dieser MitbewohnerInnen gäbe es eine Menge zu erzählen, das lasse ich aber jetzt aus.

Das Interesse an Tieren bestimmte auch unsere Studienwahl: Mein Bruder entschied sich für Veterinärmedizin, ich wählte Biologie und half nachmittags in der Werkstatt eines Tierpräparators. Das war unbezahlbarer Anschauungsunterricht, auch wenn es dabei vorwiegend um Haut und Knochen geht – die inneren Organe sind im Allgemeinen unerwünschte Ballaststoffe. Das glich dann mein nächster Schritt aus: Zwei Assistentenjahre am Institut für Gerichtsmedizin. Mein weiterer Berufsweg führte mich zwar fort von der Biologie, aber mein Interesse blieb bestehen. So freute ich mich sehr, als ich auf das Buch „Die Wandtafeln des Paul Pfurtscheller“ stieß. 

Auf den 39 zoologischen Lehrtafeln, die Pfurtscheller Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hat, ist jedes äußere und innere Detail eines Maikäfers, eines Haifisches, einer Kreuzotter oder eines Seeigels zu sehen. Wer sich jemals vor Raupen, Spinnen oder Blutegeln gegraust oder gefürchtet hat, vergisst seine Gefühle umgehend und schaut gebannt auf jedes kleinste Detail. Nicht nur aus Neugierde, wie so ein Tier eigentlich gebaut ist, sondern auch wegen der Ästhetik der Bilder. Die Darstellung einer aufgeschnittenen Taube oder einer Ratte ist nicht grauslich, nicht blutig, nicht unappetitlich, sondern zeigt das Wunder der Natur. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus.

„Eigentlich“ wandten sich die Bilder an Kinder: Der Gymnasiallehrer Paul Pfurtscheller (1855-1927) wollte seinen Schülerinnen und Schülern die Natur nahebringen: “In jeder Weise … ist mir das unterrichtende Dasein, die Wissensweitergabe an meine aufgeweckten Schüler, ein willkommener und vielfältiger Quell der Freude.”  An Sonntagvormittagen hielt er für sie freiwillige naturgeschichtliche Übungen ab, bei denen sie Fische, Salamander oder Krebse sezieren durften. Dafür waren aber die vorhandenen wissenschaftlichen Darstellungen nicht geeignet, denn sie schauten mit den Augen von Erwachsenen statt mit Kinderaugen.

Aber das Tierreich umfasst doch Millionen von Arten; reichen diese 39 Tafeln aus? Pfurtscheller richtete sich nach dem didaktischen Prinzip des exemplarischen Lehrens: Ein prototypisches Einzelexemplar steht für die ganze Gruppe oder einen anatomischen Bauplan.

„Sorgsam detailverliebt“ nennen die beiden Autoren Kurt Albert Chytil (Autor, Biologe und selbst ehemaliger Lehrer) und Werner Anselm Buhre (Künstler und Fotograf) Pfurtschellers Arbeitsweise. Das betrifft nicht nur die Anatomie, sondern auch die Art der Darstellung, die sogar weniger naturverbundene Kunstliebhaber beeindruckt: Die Anmutung der Lebendigkeit und seine Lichtführung. Ähnlich wie schon Albrecht Dürer bei seinem berühmten Feldhasen von 1502 verwendet auch Pfurtscheller “Reflexionen in den Augen der Tiere und auf anderen glänzenden Körperzonen, um sich nicht nur zu anatomischen Darstellungen toter, präparierter Objekte, sondern zu Abbildern lebendiger Wesen zu gestalten.” Zwei lesenwerte Kapitel beschäftigen sich mit dem Stillleben in der Anatomie und der Einordnung zwischen Kunst und Didaktik.

Ach, es gäbe so viel zu erzählen über dieses Buch, aber ich will Euch/Ihnen ja eigentlich nur Appetit darauf machen!

Kurt Albert Chytil, Werner Anselm Buhre: "Die Wandtafeln des Paul Pfurtscheller. Ein sorgsam detailverliebtes Leben." Vorwort von Bernd Lötsch. Mit Beiträgen von Uwe Hoßfeld (Jena) und Michael Markert (Göttingen). S. Marix Verlag, ISBN 978-3-7374-1224-7

Anzuschauen auf www.paul-pfurtscheller.com