Bibliothekarinnen in und aus Österreich - Der Weg zur beruflichen Gleichstellung

Wer sich wegen des „feministischen“ Titels davon abhalten lässt, dieses Buch zur Hand zu nehmen, versäumt eine Menge – sowohl Wissen als auch Unterhaltung. Die ersten 20 Kapitel umfassen die historische Entwicklung verschiedener Bibliotheksfelder vom Mittelalter bis heute und sind ein Streifzug durch die Geschichte der aufgeklärten Menschheit. Stichworte dazu sind Klöster, Monarchie, Kinderbüchereien, katholische Volksbüchereien, sozialistisch geprägte Arbeiterbüchereien, Wiener Städtische Büchereien während der Nazizeit, Arbeiterkammer, Erste Republik, Zweite Republik, Exil, wissenschaftliche Bibliotheken, politische Bibliotheken, Spezialbibliotheken von Museen … Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde Frauen der Zutritt zu diesem Arbeitsbereich ermöglicht, zuvor war Bibliotheksarbeit ausschließlich Männern vorbehalten – ausgenommen Nonnenklöster, deren Klosterbibliotheken von Nonnen betreut wurden.

 

Die einzelnen Arbeitsfelder werden in hoher wissenschaftlicher Qualität präsentiert; ihre Darstellungen sind voller wissenswerter Details, die anderswo nicht in so komprimierter Form vorliegen.

Sehr nützlich ist auch die Einordnung der Schilderungen in die historische und/oder politische Chronologie, etwa bei Barbara Kintaerts Darstellung von Philippine Hannak, der ersten weiblichen Bibliothekarin an der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der Arbeiterkammer Wien. Das Ende des 1. Weltkrieges, die Gründung der Arbeiterkammer, der Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927, die Februarkämpfe 1934 etc. schufen die Rahmenbedingungen, vor denen Hannaks Leben und Karriere abliefen. (S. 183 ff.) Ein anderes Beispiel ist Karin Nuskos Beitrag über die Wiener Städtischen Büchereien in den Jahren 1938 bis 1945, der auch Frauen betrifft, aber eben nicht nur: „Ab August 1938 sind weltanschauliche Schulungsreihen für BibliothekarInnen verpflichtend, unentschuldigtes Fernbleiben wird schriftlich gemahnt.“ (S. 154) „Um die bisherigen Mitarbeiter […] mit dem Grundgedanken der nationalsozialistischen Volksbücherei vertraut zu machen, wurden einige von ihnen zu der vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung veranstalteten Tagung […] abgeordnet.“ (S .159)

 

Die Beleuchtung der Rolle der Frauen in der Bibliotheksarbeit liefert ein Spiegelbild gesellschaftlicher Normen, Erwartungen und Entwicklungen. „Zunächst beschränkte sich die Beschäftigung von Frauen in Bibliotheken auf Reinigungsarbeiten, Staubwischen oder Maschineschreiben. […] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galten Frauen [dann] als besonders geeignet für den Beruf der Bibliothekarin, da ihnen ‚weibliche‘ Anlagen wie Geduld, Bescheidenheit, Selbstverleugnung, Emsigkeit, Ordnungssinn, Sorgfalt, Unterordnung und Verantwortungsbewusstsein zugeordnet wurden […].“ (Gerda Königsberger, S. 451). Christina Köstner-Pemsel zitiert in ihrem Beitrag einen Aufsatz von 1968, in dem „Bibliothekswissenschaft als ‚interdisziplinäre Ordnungswissenschaft‘ bezeichnet [wird], ‚deren Aufgabe eine systematische Erfassung und sinnvolle Aufbewahrung alles in schriftlicher Form niedergelegten Wissens ist.‘ Deshalb sei man verleitet diesem Beruf ‚eine große Fraulichkeit‘ zuzusprechen, weil er ‚betreuende und verwaltende Fähigkeiten und ‚Lust zur Ordnung‘ erfordere.“ (S. 286)

 

Derartige Klischees flossen naturgemäß in die Darstellung von Bibliothekarinnen in der österreichischen Literatur und im Film ein, ein Bereich, den Gerda Königsberger ausführlich untersucht hat. Darin sind die Bibliothekarinnen „mausgrau, unauffällig bis häßlich [und tragen eine] Brille, [verhalten sich] altjüngferlich, schüchtern [oder] bissig, [sind] ehe- und kinderlos. [Ihr Arbeitsplatz ist] verstaubt, entweder heilige Hallen oder ein Ort des Kaffeetrinkens.“ (S. 457)

 

Hielten sich Frauen nicht an das erwähnte Gebot der ‚Unterordnung‘ sondern fühlten sich zu ‚Höherem‘ berufen, dann missverstanden sie ihren Platz in der naturgegebenen Gesellschaftsordnung. Das erlebte etwa Gertraud Doublier (1901-1985), Absolventin eines Universitätsstudiums von Germanistik, Skandinavistik und Geschichte. Im Juli 1930 absolvierte sie an der ONB die Ausbildung für den mittleren Bibliotheksdienst, „musste sich allerdings schriftlich einverstanden erklären, dass sie keinen höheren Posten anstreben werde.“ (S. 272) Sie war damit keine Ausnahme. Ähnliches erlebte Eleonore Nischer-Falkenhof (1907-1994), die zwar von 1934 bis 1972 die Bibliothek der Hochschule für Angewandte Kunst zeitweise alleine führte, aber bis zu ihrer Pensionierung in der Verwendungsgruppe B blieb. (S. 286).

 

Nicht nur keine Karriere sondern auch keine Ehe: „Bis nach dem 2. Weltkrieg war für Frauen im öffentlichen Dienst eine Art Zölibat üblich. War eine Frau durch Heirat ‚versorgt‘, sollte sie den Staatsdienst verlassen.“ (S. 273). Schon gar, wenn sie Mutter wurde, denn die kurze Karenzzeit von insgesamt nur sechs Wochen und die Wochenarbeitszeit von 48,5 Stunden waren alles andere als frauenfreundlich.

 

Besonders bösartig scheint mir die Behandlung unehelicher Mütter: „Eine außereheliche Schwangerschaft wurde Ende der 1930er Jahre […] noch strafrechtlich geahndet, denn sie galt als ‚charakterliche Minderwertigkeit‘, die ‚das Ansehen des öffentlichen Dienstes gröblich verletzt‘.“ Wie Christina Köstner-Pemsel in ihrem Beitrag ausführt, dauerte es bis September 1939, bis den öffentlichen Dienststellen klargemacht wurde, „dass eine außereheliche Schwangerschaft keine dienstrechtlichen Strafmaßnahmen veranlassen könne. Die Hintertür ‚schlechter Lebenswandel der Beamtin‘ [blieb] allerdings offen.“ (S. 273)

 

Der zweite Teil des vorliegenden Werkes besteht aus 118 Einzelbiografien aus ganz unterschiedlichen bibliothekarischen Teilbereichen, alphabetisch von Adlheit im Frauenkloster Admont (12. Jahrhundert) bis Heidi Zotter-Straka (*1944) von der UB Graz. Ihre Lebenswege könnten nicht unterschiedlicher sein: Parlamentsbibliothekarin (Elisabeth Schulz-Dietrich, *1955), Bibliothekarin am Technischen Museum (Maria Habacher, 1918-2017), Schriftstellerin und Widerstandskämpferin (Doris Brehm, 1908-1991), Medizinhistorikerin (Erna Lesky, 1911-1986), stark religiös beeinflusste Lyrikerin und Kinderbuchautorin (Christine Busta, 1915-1987), Architektin und Kunsthistorikerin (Hedwig Gollob, 1895-1895) etc. etc. Sie alle waren kürzere oder längere Zeit, haupt- oder nebenberuflich, Bibliothekarinnen, die den Berufsstand mitprägten. Ihre Biografien illustrieren die Veränderung des Berufsbildes. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang Dr. phil. Christine Rosa Olga Marie Rohr, Baronin von Denta, die im November 1919 als erste Frau in den akademischen Bibliotheksdienst der (heutigen) Österreichischen Nationalbibliothek aufgenommen wurde. (S. 717f.)

 

Bei aller Rückschau auf den langen Weg der Frauen in den Beruf der Bibliothekarin widmet sich das vorliegende Werk aber auch der Gegenwart, den Anforderungen, den heutigen Ausbildungsmöglichkeiten, dem Dienstrecht (Heidi Zotter-Straka) sowie dem wertvollen Anteil der Frauen an Entwicklung und Einführung der elektronischen Datenverarbeitung (Sigrid Reinitzer).

 

Zusammengefasst gut lesbare, informative, wertvolle 790 Seiten für jede/n, die/der am österreichischen Bibliothekswesen interessiert ist. Wer aber mit dem Thema erst warm werden muss, sich nicht unmittelbar mit fachhistorischen Schilderungen und ernsten Diskussionen beschäftigen, sondern es langsam angehen will, auf die/den wartet der denkbar beste Einstieg: Gerda Königsbergers Auswertung von Romanen und Essays, Dramen, Gedichten und Filmen, in denen österreichische Bibliothekarinnen auftreten. Als ‚Köder‘ seien hier ein paar Namen aufgezählt: Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Marie von Ebner-Eschenbach, Ernst Jandl, Christoph Ransmayr, Rainer Maria Rilke, Arthur Schnitzler, Johannes Mario Simmel …. Ein echtes Kleinod.

 

Ilse Korotin,  Edith Stumpf-Fischer (Hrsg.): Bibliothekarinnen in und aus Österreich - Der Weg zur beruflichen Gleichstellung

Wien: Praesens, 2019. 792 Seiten, 978-3-706910460, € 47,70.

 

Meine Buchbesprechung erschien in den 'Wiener Geschichtsblättern', 4/2020, hrgg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien.