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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

12/2018: Freunde finden.

Vielleicht habe ich ja das falsche Lied vorgesungen („Fuchs, Du hast die Gans gestohlen!") oder ich war an diesem Tag stimmlich indisponiert, jedenfalls wurde ich zu meinem großen Kummer nicht in den Kinderchor aufgenommen. Stattdessen musste ich Blockflöte lernen. Nicht erfolgreich. Wer weiß, welch große Sängerin aus mir hätte werden können.

Japanische Weihnachtsfeier in Wien, 2018

Doch unlängst durfte ich singen, wenn auch im Schatten meines stimmgewaltigeren Mannes und vieler Menschen um uns herum: „Kiyoshi kono yoru, hoshi wa hikari, sukui no miko wa, mabune no naka ni, nemuri tamo-o, itoyasuku." Das Lied kennen Sie sicher, es ist die japanische Version von 'Stille Nacht, Heilige Nacht'.

An dieser Weihnachtsfeier haben wir irrtümlich teilgenommen: Wir hatten nämlich die Japanische Gesellschaft in Österreich (Nihonjinkai) mit der Österreichisch-Japanischen Gesellschaft (ÖJG) verwechselt. Nihonjinkai hat eigentlich nicht japanbegeisterte Leute wie uns im Blick sondern JapanerInnen, die neu nach Österreich kommen und hier Orientierungshilfe für den Alltag brauchen. Freunde eben. Es war trotzdem auch für uns wunderbar lustig und wir gewannen bei der Tombola fünf Kilogramm Reis der allerfeinsten Sorte.

Unser Tombolagewinn:
5 kg Reis aus Niigata

Der Ausflug zu Nihonjinkai hat mich an die Erzählung meines guten Freundes I. erinnert, die ich mir für den Fall der Fälle gemerkt habe: Angenommen, man wacht plötzlich in einer unbekannten Stadt auf, wie baut man sich Sozialkontakte auf?

Er hatte das 'Konzept WG': Obwohl für seine Wohnung gesorgt war, bewarb er sich als potentieller Mitbewohner bei mindestens 10 WGs. Nirgends geht es so schnell zur Sache wie bei diesen 'Einstellungsgesprächen'. Beide Seiten versuchen in relativ kurzer Zeit abzuklären, ob man zusammen passt oder nicht. So hatte er innerhalb weniger Tage 30, 40 Leute kennengelernt, sich mit einigen davon supergut verstanden und konnte in einer neuen Stadt schnell Anschluss finden.

 

Einen anderen Weg schlug mein herzallerliebster Engländer ein, als er zu mir in die unbekannte Stadt Wien übersiedelte. Ohne eigenen Freundeskreis und der deutschen Sprache nur halbwegs mächtig, trieb es ihn in die Kaffeehäuser: Wo lagen englischsprachige Zeitungen und Zeitschriften auf? Und wenn sie gerade nicht auflagen, sondern gelesen wurden: Wer las sie? Auf diese Art schuf er sich in Windeseile seine eigenen Kontakte. Dass so viele englischsprachige Menschen in unserer unmittelbaren Nähe leben, war mir zuvor völlig unbekannt gewesen. So hat sich auch mein Bekanntenkreis sehr internationalisiert.

Lübeck, „die Königin der Hanse"

Obwohl ich nicht Wienerisch spreche, ist mein österreichischer Tonfall unüberhörbar. Das hat mein Sozialleben sehr bereichert, als ich einige Jahre lang regelmäßig zwischen Wien und Lübeck gependelt bin. Kaum mache ich den Mund auf - etwa weil ich frage, ob ein Sitzplatz im Bus frei ist -, werde ich in höchst anregende Gespräche verwickelt, weil Österreich so hoch im Kurs steht. Keine Rede von den verschlossenen Norddeutschen! Mein Freundeskreis in Lübeck ist dadurch rasant gewachsen und hält noch immer, obwohl ich leider nur noch selten hinkomme.

Toastmasters-Gruppen gibt es weltweit.

Wenn man Arbeit in der fremden Stadt hat, sind die Chancen auf Sozialkontakte ja recht groß. Schwieriger wirds, wenn man mehrere Wochen als Tourist bleiben will. Als ich einmal mutterseelenalleine Singapur erkundete - ausgerechnet zu Weihnachten - half mir meine österreichische Mitgliedschaft in der Organisation Toastmasters International. Nachdem ich herausgefunden hatte, welche englischsprechenden Gruppen sich an den Tagen meines Aufenthaltes trafen, kündigte ich mein Kommen an. Das funktionierte prächtig. Ich rückte mit einem Sack Mozartkugeln an, bekam in der Pause jede Menge Telefonnummern überreicht, wurde zum Weihnachtssingen eingeladen, der Regional-Gouverneur persönlich brachte mich zu meinem Hotel in Chinatown, um sich zu vergewissern, dass dort alles mit rechten Dingen zuging, und über Einsamkeit konnte ich mich den restlichen Aufenthalt lang nicht beklagen. Im Gegenteil, ich fuhr in den darauffolgenden Jahren noch mehrfach nach Singapur, um meine neugewonnenen Freunde zu besuchen, versuchte Mandarin zu lernen - leider ohne Erfolg - und erhielt sogar Gegenbesuche von FreundInnen, die einmal in ihrem Leben Schnee sehen wollten. Wenn ich aus dem Büro gerade nicht weg konnte, führte meine Mutter sie auf den Semmering.

Sydney, Buenos Aires, Mumbai, Shanghai, Honolulu, San Francisco, London, Kopenhagen, Barcelona, Tel Aviv, Addis Abeba und Havanna waren die zwölf Städte, in denen die deutsche Journalistin Meike Winnemuth jeweils einen Monat gelebt hat, nachdem sie bei einer Fernsehshow 500.000 Euro gewonnen hatte und für ein Jahr auf Weltreise gegangen war.

Obwohl auch ich neugierig und reiselustig bin, macht mir so eine Idee Angst! Zwölfmal neu anfangen, zwölfmal niemanden kennen, sich zwölfmal in einer fremden Stadt neu einrichten. Sie hingegen fühlte sich gar nicht allein, sondern fand es sogar unfaßbar leicht, neue Leute kennenzulernen. Tu, was Dir gefällt, und Du wirst dabei auf Menschen treffen, die Dir gefallen." So griff sie nach allem, was ihr über den Weg lief. Sie nahm Ukulele-Unterricht, machte mit bei einem Fleischhauerkurs für Laien und ging zum Treffen eines Buchklubs: Fünfzehn lustige Frauen von der Psychiaterin bis zur Weinvermarkterin saßen auf den Sofas der Präsidentensuite und debattierten über den neuesten Roman. Wir tranken Lychee-Martinis und aßen Canapés, zwischendrin verpaßten uns zwei extra angeheuerte Kosmetikerinnen eine Maniküre oder eine Armmassage. Mit anderen Worten: Es war göttlich. Und hinterher hatte ich wieder ein paar Visitenkarten mehr in der Tasche."

Was lernt man daraus? Vielleicht braucht man Mut, Chuzpe, Überwindung etwas Neues zu tun, oder einfach den Zufall, bei der falschen Veranstaltung mitzusingen. Man gewinnt mehr als nur Reis.

Meine bisherigen 'Fingerübungen' und Newsletter können hier nachgelesen werden. Ich freue mich, wenn sie weiterverbreitet werden!

Meine Fingerübungen kommen hin und wieder, wenn ich etwas zu erzählen habe.
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