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Susanne Krejsa MacManus' Fingerübungen

5/2015: Wien ist ein Fluss

Ich habe den Wienfluss unterschätzt: Ich hielt ihn für ein armseliges Rinnsal. Taugt gerade noch als Namensgeber für die Stadt.

Doch dann kam Josef Holzapfel* und räumte mit meinem Unwissen auf. Erstens: Der Name leitet sich nicht von der Römersiedlung ‚Vindobona’ ab, wie ich es in der Schule gelernt habe. Stattdessen werden Stadt und Fluss erstmals in den Salzburger Annalen des Jahres 881 genannt: „primum bellum cum Ungaris  ad Uueniam“, es geht also um ein Gefecht mit den Ungarn bei ‚Uuenia’.

Quelle: Holzapfel, Seite 92

Dank Holzapfel weiß ich jetzt auch, warum das traurige Bächlein, das durch unseren Stadtpark kriecht, durch Jahrhunderte gefährlich und entsprechend gefürchtet war: Nach einem ordentlichen Regen kann es im Handumdrehen auf das Zweitausendfache (!) anschwellen, denn Kalkmergel, Tonmergel und Sandstein in seinem Ursprungsgebiet Wienerwald nehmen kaum Wasser auf. Mit Entsetzen schaue ich auf eine Darstellung aus dem Jahr 1785, „als der Fluß ganz unvermutet so hoch über seine Ufer stieg, dass alle Gegenden an beiden Seiten auf eine Höhe von ‚acht bis neun Schuhen’ überdeckt waren. Bäume, Stege, Brücken, Hütten und selbst gemauerte Häuser wurden fort- und die Wehre in Stücke gerissen.“ (S 91).

Mein (heutiger) Wohnbezirk ‚Wieden’ wäre von den Wassermassen beinahe weggeschwemmt worden. (S 92) Im Vergleich dazu erreichte der Wasserpegel am 15. Dezember 1974 bloß ca. 1 Zentimeter, das entspricht einem Durchfluss von wenigen Litern pro Sekunde.“(S 92)

Wer zur Rush-Hour oder gar Freitag nachmittags im Schrittempo das arg zusammengequetschte Wiental im Stadtbereich entlangfährt, hat genug Zeit, über den einst lebendigen Fluss zu trauern, der hier vor 200 Jahren bis zu 14 Mühlen versorgte. Sie mahlten Getreide, Hirse, Erbsen, Stockfisch, Gewürze.

Die Bärenmühle mahlte sogar Bären, nicht wahr?
Quelle: Holzapfel, Seite 50

Von der Bärenmühle bei mir um die Ecke sind es nur ein paar Schritte zum Karlsplatz, heute Verkehrsknotenpunkt von U-Bahn, Strassenbahn und Buslinien und bis vor kurzem (?) Treffpunkt der Wiener Drogenszene. Die einst so romantisch vorbeiströmende Wien ist zugedeckt, eingewölbt, vergessen.

Zum Glück nur fast vergessen:

Karlsplatz-Girardipark, 1010 Wien

Mit etwas Glück findet man im Girardi-Park den Abgang zur Dritte-Mann-Tour in das Wiener Kanalsystem und wenn man sich rechtzeitig zu einer Führung angemeldet hat, darf man auch rein. Man bekommt nicht nur einige unterirdische Schauplätze des Filmes von 1949 zu sehen sondern auch den Wienfluß.

35 Kilometer lang ist der Fluß von seinem Ursprung im westlichen Wienerwald in Niederösterreich bis zu seiner Einmündung in den Donaukanal bei der Wiener Urania, davon 16 Kilometer auf Wiener Gebiet.

Quelle: Holzapfel, Seite 90

Wer ihn flußaufwärts bis zu seiner Quelle begleiten will, entdeckt Natur pur, wo er nicht mehr in sein städtisches Betonbett gezwängt ist. Vorbei an Feuchtbiotopen, Rückhaltebecken, dem Wienerwald-Stausee, bis zum Zusammenfluss der 'Kalten Wien' und der 'Dürren Wien' in Pressbaum und weiter bis zum Kaiserbrünndl auf 520 Meter Höhe bei Rekawinkel.

Am besten mit Holzapfels Buch im Gepäck.

Er berichtet über die Geschichte des Flusses, zeigt historische Landkarten und Darstellungen, über Badefreuden, Bautätigkeit entlang der Ufer, Bedeutung als Verkehrsweg, über Dämme und Wehre, Furten und Brücken, Mühlen und andere Gewerbe, Katastrophen und deren künftige Verhinderung durch die Regulierung und Einwölbung und schließlich hat er auch eine Reihe von Erwähnungen in Literatur und Liedern zusammengestellt.

*Josef Holzapfel: Die Wien – Vom Kaiserbrünndl bis zur Donau, Erfurt: Sutton, 2014, ISBN 978-3-95400-400-3, 124 Seiten, € 19,99

 

P.S. Die ehemalige Heumühle, der älteste nicht sakrale Bau Wiens, kann übrigens an den Open-House-Tagen der Aktion 'Wien findet Stadt' besichtigt werden.



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