Susanne Krejsa MacManus

Wie man keinen Nobelpreis gewinnt: Die verkannten Genies der Medizingeschichte

Gerade 33 Hausnummern lang ist die Gasse am Rand von Wien-Essling, die den Namen des österreichischen Physiologen Eugen Steinach (1861-1944) trägt. An Würdigungen und Preisen mangelte es ihm wahrlich nicht, sogar der „Steinach-Rummel", ein Foxtrott von Willy Kaufmann-Ernst aus dem Jahre 1920, war ihm gewidmet. Doch was ihn wohl am meisten gefreut hätte, wäre ein Nobelpreis gewesen; insgesamt elfmal wurde er für den „Nobelpreis in Physiologie oder Medizin“ vorgeschlagen, erhielt ihn aber nie – seine Verjüngungsoperationen, im Volksmund als „steinachen“ bekannt, waren zu umstritten. (S.178ff.) Ob die Straßenbenennung im Jahr 1955 gewissermaßen als „Trostpflaster“ gedacht war, ist nicht überliefert. 

Im vorliegenden Buch präsentiert der Medizinhistoriker Nils Hansson eine Vielzahl erfolgloser Kandidaten und Kandidatinnen für den Nobelpreis und untersucht mögliche Gründe für ihr Scheitern. Denn das Nobelkomitee begründet seine Entscheidungen nicht und die Akten sind erst nach 50 Jahren und mit gewissen Mühen einsehbar. Außer dem erwähnten Eugen Steinach ging beispielsweise auch der in Wien geborene Carl Djerassi (1923-2015) leer aus, der sich selbst als „Mutter der Pille“ bezeichnete. (S. 14f.) Auch der Innsbrucker Physiologe Ludwig Haberlandt (1885– 1932), der wichtige Vorarbeiten zur Entwicklung der Antibabypille durchgeführt hatte, scheiterte trotz zweimaliger Nominierung. Frauenthemen scheinen dem Komitee generell nicht als der vom Preis-Stifter Alfred Nobel geforderte „größte Nutzen für die Menschheit“ zu gelten, wie auch am Beispiel des österreichischen Gynäkologen Hermann Knaus (1892–1970) zu sehen ist. Ihm und seinem japanischen Kollegen Ogino Kyūsaku (1882–1975) verdanken wir die Aufklärung der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage im Zyklus der Frau. Die beiden wurden 1936 für den Nobelpreis vorgeschlagen - erfolglos. Tatsächlich ist es schwer vorstellbar, dass gesellschaftlich so tabuisierte und medial so unattraktive Themen wie Eisprung und Menstruation im Jahr 1936 preiswürdig gewesen wären. „Denn die Kriterien dafür, was exzellent ist und was nicht, sind immer historisch und kulturell bedingt.“ (S. 39)
 

Der Autor schildert aber auch die Schwierigkeiten, denen sich das Komitee gegenüber sieht: „Ist es angesichts der riesigen Mengen an Nominierungen überhaupt möglich, [dem] Ziel gerecht zu werden? Erhalten die Richtigen den Nobelpreis?“ Und weiter: „Was unterscheidet eigentlich die oft nominierten, aber letztlich erfolglosen Wissenschafter von den Preisträgern?“ (S13) „Es ist eine heikle Aufgabe, maximal drei preiswürdige Forscherinnen und Forscher in einem Netzwerk von mehreren Pionieren zu benennen.“ (S. 69)

Die möglichen Gründe für das Scheitern von Kandidaten sind vielfältig. So hatte etwa der schwedische Arzt und Physiotherapeut Gustav Zander (1835-1920) zwar gute Chancen, für seine Konstruktion und den Einsatz der Fitnessgeräte ausgezeichnet zu werden, die weltweit verbreitet waren und sich sogar auf der Titanic befanden. Doch genau im Jahr seiner Nominierung – 1916 – vergab das Nobelpreiskomitee kriegsbedingt keine Preise. (S. 49ff.) Bei der US-amerikanischen Kinderärztin und Kardiologin Helen Brooke Taussig (1898-1986), die mehr als dreißig Mal für ihre Behandlung des Blue-Baby-Syndroms nominiert worden war, scheint die starke Konkurrenz im Bereich der Herzchirurgie hinderlich gewesen zu sein. (S. 64ff.) Ähnlich bei Christiaan Barnard (1922-2001), dessen Name uns allen in Zusammenhang mit der weltweit ersten Herztransplantation geläufig ist. Warum er trotzdem keinen Nobelpreis erhielt, erklärte er sich so: „Für die Mediziner war meine Operation keine Überraschung. Stete Fortschritte auf dieses Ziel hin wurden von Immunologen, Biochemikern, Chirurgen und Spezialisten anderer medizinischer Fachgebiete in den letzten Jahrzehnten überall in der Welt gemacht.“ (S. 61f.) Wiederum ein anderes Hindernis blockierte den Chirurgen Themistocles Gluck (1853-1942): Er war seiner Zeit weit voraus, sodass sein Umfeld seine Leistungen in der Endoprothetik nicht erkannte. Als er schließlich 1933 doch noch vorgeschlagen wurde, lagen seine Pionierleistungen so lange zurück, dass die Statuten der Stiftung nicht erfüllt worden wären, wonach neuere Arbeiten ausgezeichnet werden sollen. (S. 89ff.) Dieses Schicksal – „zu innovativ" – wird dem österreichischen Ehepaar Ingeborg und Erich Hochmair hoffentlich erspart bleiben, deren Cochlea-Implantate aktuell das Leben vieler Menschen mit Hörbehinderung erleichtern. 

Der Autor untersucht auch, wie weit internationale Vernetzungen, physische Attraktivität oder das richtige Geschlecht bei der Zuerkennung des Nobelpreises Wettbewerbsvorteile bringen. Als positives Beispiel für die Überwindung der Schlechterstellung von Frauen erwähnt er die Biophysical Society in den USA, die aktiv nach geeigneten Preiskandidatinnen sucht, um dadurch den Männer-nominieren-hauptsächlich-Männer-Kreislauf zu durchbrechen.

Wenig ist über Fehler des Nobelkomitees bekannt. Ein echter Fehlgriff war der Däne Johannes Fibiger, der 1926 für seine Entdeckung von etwas ausgezeichnet wurde, das er für einen krebserregenden Parasiten hielt – eine gewagte Idee, die sich als phänomenal falsch herausstellte. Sein Nobelpreis wurde ihm mit der Erklärung überreicht, dass seine Erkenntnisse „der größte Beitrag zur experimentellen Medizin in unserer Generation“ seien. Die warzenartigen Ausbeulungen in den Mägen der Ratten waren allerdings durch ein Vitamin-A-Defizit verursacht worden.
Ein Versäumnis der neueren Zeit war beispielsweise die fehlende Auszeichnung von Oleh Hornykiewicz (1926-2020), Pharmakologe und Professor am Institut für Hirnforschung in Wien. Als Pionier auf dem Gebiet der Erforschung der Parkinson-Krankheit und der Rolle des Dopamins beim Menschen hätte er den Preis gemeinsam mit Arvid Carlsson von der Universität Göteborg erhalten müssen, der bereits in den 1950er-Jahren an der Rolle von Dopamin bei Tieren gearbeitet hatte. Carlsson wurde im Jahr 2000 ausgezeichnet – allerdings ohne Hornykiewicz. 230 internationale Fachleute protestierten beim Nobelkomitee gegen die Nichtberücksichtigung von Hornykiewicz – ohne Erfolg.

Trotz aller Hindernisse gab es aber auch eine Reihe erfolgreicher Österreicher, die den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zuerkannt erhielten: Der Ohrenarzt Robert Bárány (1876–1936), der Internist und Psychiater Julius Wagner-Jauregg (1857–1940), der Entdecker der Blutgruppen sowie des Rhesusfaktors Karl Landsteiner (1868–1943), der Pharmakologe Otto Loewi (1873–1961), Carl Ferdinand Cori (1896–1984) und seine Frau Gerty Cori ((1896–1957), weiters der Gründungsvater der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung (Ethologie) Konrad Lorenz (1903–1989) gemeinsam mit Karl von Frisch (1886–1982). Bisher letzter österreichischer Preisträger in dieser Sparte war der Neurowissenschafter Eric Richard Kandel (* 1929).  

Das Buch ermöglicht seltene Blicke hinter die Kulissen des Nobelpreises. Ob unser Nationalstolz nun im jeweiligen Jahr und in der jeweiligen Sparte gewärmt oder enttäuscht wurde – es ist hilfreich, die Abläufe, Probleme und Einflussfaktoren zu verstehen.