Von ‚Witwen‘ und ‚Waisen‘

Eigentlich führt kein Weg daran vorbei: Wer akademisch gehört werden will, muss auf Englisch publizieren. Es ist mühsam genug, seinen Text fertigzukriegen und von einem Journal oder einem Publisher akzeptiert zu werden. Uff, geschafft! Aus meiner eigenen akademischen Vergangenheit weiß ich aber, dass dann plötzlich ein Vokabular gefragt ist, das mit dem eigenen Fachgebiet rein gar nichts zu tun hat: Was soll in italics gesetzt werden (kursiv)? Wird es einen editor (Lektor) geben (und wer bezahlt ihn)? Soll die Überschrift centered sein (zentriert)? Der Haupttext justified (Blocksatz)? Die captions (Bildunterschriften) aber vielleicht ragged (Flattersatz)? Und wie lange hat man Zeit, die page proofs (Druckfahnen) zu bearbeiten?


Wer mangels Fachausdrücken seine Wünsche wörtlich aus dem Deutschen übersetzen will, stößt bald an seine Grenzen, im besten Fall aber auf Gelächter: Das hässliche ‚Hurenkind’ (eine einzelne letzte Zeile am oberen Seitenrand) heißt auf Englisch nämlich widow, der ‚Schusterbub‘  (eine einzelne Anfangszeile am unteren Seitenrand) wird orphan genannt und ‚Gänsefüßchen‘ heissen quotation marks. Die deutsche Sprache ist diesbezüglich ungleich blumiger als das Englische!


Ich will mich ja beileibe nicht vordrängen, aber doch bescheiden darauf hinweisen, dass ich nicht nur Sprachunterricht gebe, sondern auch mit Studierenden und Lehrenden an ihren englischsprachigen Manuskripten arbeite.