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Aufbau und Bearbeitung von Archiven und Sammlungen
In Japan fest feiern
Jede Menge medizinischer Kongresse haben Japan zu einem beliebten Reiseziel werden lassen. Alles ist spannend fremdartig und eindrucksvoll; zurückgekehrt schwärmt man von Kirschblüten, Sushi und den Augen der Geishas, aber warm wird man nicht mit diesem Land. Selbst schuld. Tiefer eintauchen kann man durch die Teilnahme an einem der vielen fröhlichen Feste, die in Stadt und Land das ganze Jahr über gefeiert werden und nicht nur zum Zuschauen und Filmen einladen, sondern auch zum Mitmachen und Mitfeiern.
Viele Feste sind eine Mischung aus ausgelassenem Spektakel und fröhlicher Verehrung lokaler Gottheiten – quasi der Spiegel des jeweiligen Stadtviertels oder Dorfes, das es veranstaltet. Und weil in jedem Viertel – mindestens ein shintoistischer Schrein beheimatet ist, beteiligen sich diese auch an den Umzügen. Mittelpunkt sind daher meist die ‚Omikoshi‘, verkleinerte Nachbildungen von Tempelschreingebäuden, in denen die lokalen Gottheiten Quartier bezogen haben. Omikoshis sind ein Wunderwerk der Handwerkskunst aus Schnitzereien, rot, schwarz und golden lackiertem Holz, mit Messingbeschlägen und aufwändigen Verzierungen. Mindestens ein Jahr Zeit und viel Geld verschlingt die Herstellung eines neuen Schreins und besondere Prunkstücke sind mehrere hundert Jahre alt. Einmal im Jahr werden die schweren Holzgebilde durch das jeweilige Viertel getragen – auf den Schultern vieler Menschen und unter den Augen von Hunderttausenden Besuchern, die sich davon Glück und Wohlstand erhoffen. Fröhliche Gottheiten wollen fröhliche Menschen – gerne auch ausländische Gäste. Starke Schultern – weibliche wie männliche – sind immer willkommen und ein paar unternehmungslustige Ärzte aus Österreich heben gleich ganz ordentlich die Stimmung.
Freude und Volkstümlichkeit sind neben Pflichttreue, Ehrlichkeit, Selbstbeherrschung und Todesverachtung Charakteristika des Shintoismus – daher werden Geburten, Hochzeiten und Saat oder Ernte meist shintoistisch und sehr ausgelassen begangen, Beerdigungen hingegen buddhistisch. Der Shintoismus ist eine erlebte Religion der Bauern, Jäger und Fischer, und weniger eine denkschwere, intellektuelle Religion. Es gibt keinen Stifter und keine Lehrschriften. Ursprünglich wurde alles verehrt, was groß, gewaltig, außergewöhnlich und geheimnisvoll ist oder mit den irdischen Bedürfnissen in irgendeinem Zusammenhang steht und das Wohlbefinden fördert. Im Gegensatz zum feierlichen Ernst, den wir Europäer unseren Religionen gegenüberbringen, hat Japan auch Platz für eher freundlich-fröhlichen, fürsorglichen Respekt gegenüber seinen Gottheiten, die beispielsweise in Brunnen, Quellen, Berggipfeln und Tieren verehrt werden. Eine ‚amtliche‘ Zählung im Jahr 1901 brachte es auf 3132 Gottheiten.
Als Tourist ist man bei diesen Festen sehr willkommen – nicht nur als Zuschauer sondern auch als Teilnehmer. Wo es hingegen um aktive Religionsausübung geht, wird man sowieso höflich ausgeladen oder in die Zuschauerrolle geführt. Man zieht sich also am besten etwas Bequemes an, aus dem sich in Strömen fließender Schweiß und ebensoviel Sake und Bier leicht wieder auswaschen lassen. Die japanischen Teilnehmer kommen hingegen in der vom jeweiligen Veranstalter verlangten Justierung: Kurze bedruckte Baumwolljacken (‚Happi‘), kurze weiße Shorts, weiße Baumwollsocken mit fester Sohle, die große Zehe von den anderen getrennt (‚Tabi‘), sowie Strohsandalen. Damit der Schweiß nicht in die Augen rinnt, werden besondere Baumwoll-Schals über die Stirn gebunden (‚Hachimaki‘) – wichtig ist die richtige Knotentechnik, für jedes Fest und jede Gegend eine charakteristische andere.
Frühstücken Sie noch ordentlich, bevor Sie aus dem Hotel gehen. Egal ob Reis & Fisch oder Ham & Eggs - Hauptsache nahrhaft, denn einen Schrein durch die Straßen zu tragen schlaucht ganz schön. Währenddessen sind schon die Fest-erfahrenen Spezialisten am Werk, die die Last auf das Tragegerüst montieren. Wenn die erste Mannschaft das schwere Ding auf ihre Schultern hebt, brauchen Sie sich noch nicht vorzudrängen - diese Arbeit überlassen Sie getrost den Einheimischen. Die Götter müssen so manchen Stoß und Schubs aushalten, bis die Träger ihren Rhythmus gefunden haben - manchmal schwankt der ganze Aufbau besorgniserregend. Aber dann! Mit den Rufen 'Wa-shoi wa-shoi wa-shoi..' setzt sich der Zug in Gang. Je nach Energielevel der Träger und Zustand der Straße kommt man Schritt für Schritt oder etwas zügiger voran. Die Starken werden gefolgt von einer Versorgungsmannschaft, die sie mit fetten Reisbällchen und nahrhaftem Sake atzt. Wer erschöpft ist macht Pause und wird sofort von neuen Kräften ersetzt. Hier ist Ihre Chance. Der Wust schwitzender Leiber macht Ihnen sofort eine Lücke frei und nimmt Sie gerne auf.
Von Zeit zu Zeit muß der Festzug anhalten, damit die gelockerten Tragetaue wieder festgezurrt werden können. Wirklich schwierig wird’s, wenns um die Ecke geht. Aber bis dahin sind sowieso alle vom Schreien schon heiser, die Füsse tun weh, die Schultern sowieso und durch Anstrengung plus Sake ist jeder in einen emotionalen Taumel verfallen. Hier geht’s nicht um Andacht sondern um Spaß. Abkühlung nach ein bis zwei Stunden Plackerei gibt’s je nach Saison anschließend im Fluss oder im Schnee.
Wer nicht selbst tragen will, ist mit Schauen beschäftigt: Die Schreine werden von geschmückten Wagen (‚kasahoko‘) begleitet, auf denen beispielsweise Leute mit traditionellen Musikinstrumenten Musik machen. Andere Wagen können auch mit Puppen geschmückt sein. Nicht zu vergessen die Strassenstände, die Esswaren, Spiele und anderes anbieten. Eine Augenweide sind die Tanzgruppen; ob Traditionelles in Kimono-Sandalen-Fächer oder Wildes in weißen Sommeruniformen des ‚Samba Clubs der Bahnhofsvorstände der East Japan Railways‘ – die Darbietungen wurden fleißig geprobt und werden mit viel Elan vorgeführt. Wenn Sie genau schauen, sehen Sie immer wieder unjapanische Gesichter dazwischen – wer früh genug zur Tanztruppe stößt und brav trainiert hat, darf natürlich mittanzen. Jedes Fest hat seine eigene Charakteristik, aber mindestens so schön und sehenswert wie der Festumzug sind die anderen Zuschauer.
Viele berühmte Feste finden von Mai bis Juli statt. Aber auch wer erst später im Jahr kommt, braucht auf den Spaß nicht zu verzichten. Ein Blick in die englischsprachigen Zeitungen, eine Anfrage beim Hotel-Concierge oder ein kurzer Ausflug ins Internet fördern jede Menge Termine zutage. In nächster Zeit (2002) kommen beispielsweise:
August/Sendai (Nordjapan): ‚Tanabata-Matsuri‘
September/Nara: Uneme Shrine, Drachenboot auf dem Sarusawa Pond.
September/Osaka: ‚Danjiri Matsuri‘
25.-26. September/Tokyo: ‚Fukuro Matsuri‘
7.-9. Oktober/Südjapan: ‚Okunchi‘
9.-10. Oktober/Takayama: ‚Hachiman Matsuri‘
November/Tokyo: ‚Tori-no-Ichi‘
Mitte Dezember/Tokyo: ‚Boro Ichi‘
Erschienen 2002 in 'Der Mediziner'