Rezension: Im Rausch der Kirschblüten (Ausstellung und Buch)

No – japanisches Theater mit 2 Buchstaben - ist sehr beliebt, ebenso wie Kabuki, Bunraku, Butoh, Gigaku und andere  japanische Theaterformen: Beim Ausfüllen von Kreuzworträtseln. Darüber hinaus ist es dem österreichischen Theaterpublikum kein Herzensanliegen. Die gelegentlichen Gastspiele japanischer Ensembles werden von einem kleinen Kreis Neugieriger und Kulturbeflissener wahrgenommen und von der Kritik wohlerzogen gelobt.

Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts war das ganz anders: Vierzehn Abende dauerte 1902 das Wien-Gastspiel von Sadayakko, Kawakami Otojirô und dem „ganzen Schauspiel-Ensemble des Kaiserlichen Hoftheaters in Tokio bestehend aus 30 Original-Japanern“ im k.k. priv. Theater an der Wien. Vierzehn ausverkaufte Abende „voll fernöstlicher Faszination und überbordender Phantasie“.

Siebzehn ebenso gut besuchte Abende lang lief 1870 die Serie von Hama’ikari Sadakichi „unter dem Protektorate Ihrer k. Hoheiten des Prinzen und der Prinzessin von Wales stehenden original-kaiserlichen Japanesen“ im Theater in der Josefstadt.


Der Japan-Hype schwappte im Gefolge der Weltausstellungen (London 1862, Paris 1867) auch nach Wien, wo er speziell nach dem fulminanten Auftritt Japans bei der Wiener Weltausstellung (1873) alle Lebensbereiche durchdrang. Eine Wiener Zeitung kommentierte es so: „Japanische Männer strömten nach Europa und Amerika, um den Honig westlicher Kultur zu sammeln und ihn in ihr liebliches Vaterland zum Nutzen und Frommen ihrer Mitbürger hinüberzutragen. Aber sie haben bei uns nicht nur genommen, sie haben uns auch viel Schönes und Erhabenes gebracht und gelehrt [...] Europa ist eben in diesen letzten Dezennien japanisiert worden, während sich Japan europäisieren ließ. Unsere Kinder spielen mit japanischen Spielsachen, unsere Damen tragen japanische Frisuren und in den Gärten Europas blühen japanische Ziersträucher und Blumen. Der Osten hat sich, unmerklich für jene, die es miterlebt haben, dem Westen und der Westen dem Fernen Osten angepaßt.“[1]

 

Japanisches Flair hielt Einzug in westlichen Bühnenstücke: Exotische Schauplätze, Figuren, Kostüme und Musik sprachen den Japan-Hunger des Publikums an: 1886 und 1887 gastierte ‚The Mikado’ von Gilbert & Sullivan in Wien. Gleich darauf kamen ‚Der Mikado von Neu-Titipu’ und ‚Der Mizekado oder ein Tag in Pititui’ auf die Bühne. 1897 hatte am Wiener Carltheater die deutschsprachige Fassung von ‚The Geisha’ Premiere, 1908 wurde Béla Lazkys Operetteneinakter ‚Drei kleine Mädel’ im Theater an der Wien gespielt.


Während das Publikum sich über japanische Lebensformen amüsierte oder die Geschicklichkeit japanischer Akrobaten bestaunte, studierten und übernahmen europäische Tänzerinnen und Tänzer, Choreografinnen und Choreografen einzelne Elemente japanischer Tanz- und Theaterformen. Die Japan-Mode kam gerade recht in eine Phase der Erneuerung: „Um 1900 stellte die europäische Bühnenreform das Illusionsprinzip des bürgerlichen Theaters vehement in Frage und man kehrte sich sowohl vom Bühnenhistorismus als auch vom Bühnennaturalismus ab. ... metaphysische Wesenheiten wie Ruhe, Harmonie und Schönheit sollten widergespiegelt werden.“[2]


Japan bot willkommene neue Ausdrucksformen: „Im Gegensatz zum Ballett, das mit seinen Schritten und Sprüngen en pointe und mit seinen Hebefiguren  den Eindruck von Leichtigkeit und Schwerelosigkeit erzeugen möchte, ist für japanische Tänze der Bezug zum Boden kennzeichnend. Durch leicht angewinkelte Knie verschiebt sich der Körperschwerpunkt in der Vertikalen nach unten; Schritte gleiten über den Boden. Hand-, Arm- und Kopfbewegungen werden mit statischem Oberkörper ausgeführt; Drehungen erfolgen oft langsam und kontrolliert.“[3]

Ebenso einflussreich waren technische Neuerungen: Max Reinhardt führte die japanische Drehbühne ins europäische Theater ein, Alfred Roller übernahm die japanischen Schiebetüren in das Bühnenbild.


Bleibt noch die Frage, ob der Ausstellungstitel ‚Im Rausch der Kirschblüten’ mehr ist als schönes Wortgeklingel. Die Kuratorin verweist auf das ‚rauschhafte’ Schwelgen im Fremdartigen, dem sich sowohl Theaterschaffende als auch das Publikum  hingegeben haben. Tatsächlich war die Perzeption des fernen Landes Japan – oder was man dafür hielt - im Vergleich zur heutigen wohl euphorischer, leidenschaftlicher und enthusiastischer – rauschhaft eben.


Die Ausstellung ‚Im Rausch der Kirschblüten. Japonismus auf der Bühne’ wurde von Daniela Franke kuratiert und zeigt ein bisher wenig wahrgenommenes Kapitel der darstellenden Kunst anhand von Theaterplakaten, Programmzetteln, Skizzen zu Bühnenbildern und Kostümentwürfen, Raummodellen, Künstlerporträts und Fotos, vor allem aus den Beständen des Hauses sowie des nun ‚Weltmuseum’ genannten ehemaligen Völkerkundemuseums. Das mit Schmuckpapieren aus dem Nachlass von Alfred Roller besonders stimmig gestaltete Buch ‚Im Rausch der Kirschblüten. Japans Theater und sein Einfluss auf Europas Bühnenwelten’ geht über den Rahmen eines Ausstellungskataloges hinaus und enthält Beiträge von D. Franke (Kuratorin), W. Fuhrmann (Musikologe), T. Klankert (Theaterwissenschaften), C. Mayerhofer (Bibliothekarin), P. Pantzer (Japanologe) und B. Zorn (Ostasienwissenschaften). Allerdings haben die es die Herausgeber verabsäumt, die Bedeutung ihrer AutorInnen durch einige biografische Angaben darzustellen. Bedauerlicherweise wurde auch auf die inhaltliche Abstimmung zwischen den einzelnen Beiträgen verzichtet; unnötige und störende Wiederholungen wären zu vermeiden gewesen.


Die Ausstellung lief bis März 2014 im Österreichischen Theatermuseum, Lobkowitzplatz 2, 1010 Wien. Katalog hrsgg. von D. Franke, T. Trabitsch, Wien: Brandstätter, 2013, S 142, € 27,50.

 

Meine Rezension erschien in den 'Wiener Geschichtsblättern', 2014, hrgg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien.


[1]Zit. nach P. Pantzer, Japonismus in Österreich oder: die Kunst kennt keine Grenzen, in: Verborgene Impressionen/Hidden Impressions, hg. von P. Noever, Ausstellungskatalog, Wien 1990, S. 9–22.

[2]D. Franke:  Japanisches im Schauspiel. In: Im Rausch der Kirschblüten. Japans Theater und sein Einfluss auf Europas Bühnenwelten. Hrsg. D. Franke, T. Trabitsch, Wien: Brandstätter, 2013, S95

[3]T. Klankert: ‚Frühlingsblümchen’ und ‚Schwertertanz’. Japonismus im Bühnentanz um 1900. In: Im Rausch der Kirschblüten. Japans Theater und sein Einfluss auf Europas Bühnenwelten. Hrsg. D. Franke, T. Trabitsch, Wien: Brandstätter, 2013, S75