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Josef Holzapfel: Die Wien – Vom Kaiserbrünndl bis zur Donau
35 Kilometer lang ist der Wienfluss von seinem Ursprung im westlichen Wienerwald in Niederösterreich bis zu seiner Einmündung in den Donaukanal bei der Wiener Urania, davon 16 Kilometer auf Wiener Gebiet, beginnend am Mühlberg in Penzing.
Nach einem ordentlichen Regen oder bei extremem Tauwetter kann der Fluss in kurzer Zeit zum reißenden Strom mit über 400 Kubikmeter Wasser pro Sekunde werden, denn Kalkmergel, Tonmergel und Sandstein in seinem Ursprungsgebiet nehmen kaum Wasser auf. Das letzte Hochwasser gab es im Juni 2009, das stärkste seit Beginn der regelmäßigen Aufzeichnungen (1904) wurde im Mai 1951 gemessen.
Das alles ist harmlos im Vergleich zu den historisch erinnerten Höchstständen und daraus folgenden Überschwemmungen. Beispielsweise anno 1295, als das Wiener Bürgerspital und die davor gelegene Brücke überflutet wurden. Oder im Jahr 1785, „als der Fluß ganz unvermutet so hoch über seine Ufer stieg, dass alle Gegenden an beiden Seiten auf eine Höhe von ‚acht bis neun Schuhen’ überdeckt waren. Bäume, Stege, Brücken, Hütten und selbst gemauerte Häuser wurden fort- und die Wehre in Stücke gerissen.“ (S 91).
Entsprechend bemühte man sich über Jahrhunderte, den Fluss zu bändigen. Das erste überlieferte Projekt einer Flussregulierung in Wien stammt von 1713. Zahlreiche Ideen und Entwürfe folgten und gelangten ebenfalls gar nicht oder nur partiell zur Ausführung. Da half es auch wenig, dass als Folge der Cholera-Epidemien zwischen 1831 und 1873 wenigstens ein umfassendes Kanalsystem errichtet wurde, denn bei starkem Regen schwappten die Sammelkanäle in die Wien.
Von 1894 bis 1902 fanden endlich die tatsächlichen Regulierungsarbeiten statt: Erweiterung der vorhandenen Cholerakanäle, teilweise Einwölbung, die 1914 noch weiter verlängert wurde, nämlich bis zur Magdalenenbrücke (Rüdigerhof). Die geplante Fortsetzung Richtung Hietzing fiel schließlich dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum Opfer.
Neben dem Schutz vor Überflutungen ging es auch um die Befestigung von Stellen mit geringer Fließgeschwindigkeit, wo es ständig zu Ablagerungen von mitgeführtem Material kam.
Kein Wunder, dass man den Wienfluss in Wien heute kaum noch wahrnimmt: Als bedauernswertes Bächlein kriecht er durch den Stadtpark und von dort hinter dem Museum für Angewandte Kunst Richtung Urania. Wo er zuvor die Stadt betreten hat, scheint er nur noch als Ärgernis in den Wochenend-Verkehrsmeldungen auf: Das Wiental ist freitags in die eine Richtung und Sonntag Abends in die andere Richtung überlastet, zeitfressende Staus sind die Folge. Zu Gesicht bekommt man ihn dabei fast gar nicht; so bleiben auch die Renaturierungsmassnahmen ziemlich unbemerkt.
Das heute so unscheinbare Rinnsal hat jedoch über viele Jahrhunderte die Stadtgeschichte geprägt. Namen wie ‚Feldmühlgasse‘ und ‚Schleifmühlgasse‘ erinnern an die vielen Mühlen, ‚Kettenbrückengasse’ und ‚Zollamtssteg‘ an Übergänge. Die Wien versorgte aber auch Hammerschmieden, Lederfabriken, Seifensieder, Brauereien, WäscherInnen … Und schließlich diente uns ihr Wasser bis vor rund zehn Jahren auch als Trinkwasser.
Einer der fast alles über die Geschichte des Wienflusses weiß, ist Josef Holzapfel, Mitarbeiter des Bezirksmuseums Hietzing und leidenschaftlicher Chronist seiner Heimatregion, die sich sogar einmal stolz ‚St. Veit an der Wien’ nannte. Er breitet sein Wissen in 13 Kapiteln und 190 Bildern aus. Da staunt man, was man alles nicht gewusst oder falsch gelernt hat. Beispielsweise über den Ursprung des Namens ‚Wien‘. Er leitet sich nicht von der Römersiedlung ‚Vindobona’ ab. Stattdessen werden Stadt und Fluss erstmals in den Salzburger Annalen des Jahres 881 genannt: „primum bellum cum Ungaris ad Uueniam“, es geht also um ein Gefecht mit den Ungarn bei ‚Uuenia’.
Die Kapiteltexte sind lesefreundlich; noch mehr hervorzuheben sind die Erläuterungen zu den Bildern: Da sich historische Pläne, Skizzen, Entwürfe und Einreichpläne nicht leicht erschliessen, sind Holzapfels Begleittexte besonders hilfreich. Beispielsweise im Kapitel ‚Die Wien auf Landkarten‘: Hier wird der Leser von der Darstellung im Albertinischen Plan aus den Jahren 1421/22 bis zum Franziszeischen Katasterplan von 1819 geführt. Ähnliches gilt auch für das Kapitel ‚Die Mühlen‘: Der abgebildete Brequin-Plan aus 1755 ist nicht genordet und würde den Leser daher vor ziemliche Rätsel stellen.
Unterhaltsam ist das Kapitel ‚Das Leben am Fluss‘ mit historischen Abbildungen geordneten und ungeordneten Badevergnügens. Zum Schluss des Buches findet sich noch ‚Die Wien in Literatur und Liedern‘. Selten sind die Zeugnisse romantisch verklärt, öfter spottend bis kritisch, befassen sich mit Überschwemmungen, Regulierungen und sozialem Elend. Mit dem Couplet ‚Der Wienfluss der ist meine einzige Freud!‘ von A. Randl aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand Holzapfel nur ein einziges Lied, „das den Wienfluss wenigstens in der ersten Strophe positiv besingt.“ (S 122)
Josef HOLZAPFEL: Die Wien – Vom Kaiserbrünndl bis zur Donau, Erfurt: Sutton, 2014, ISBN 978-3-95400-400-3, 124 Seiten, € 19,99
Meine Buchbesprechung erschien in den 'Wiener Geschichtsblättern', 2/2015, hrgg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien.
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