Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien. Medizinische Spaziergänge durch die Stadt.

Die beiden AutorInnen, Fremdenführerin die eine, Pressechef der Wiener Ärztekammer der andere, wenden sich an LeserInnen mit Vorwissen: Solche, die Wien kennen und Neues erfahren wollen, oder solche, die der Medizin nahe sind – vielleicht sogar eine Kombination aus beidem. Wer mit eigenen Augen Orte des Geschehens erleben will, wer mehr wissen will über die Medizin des Mittelalters, die Klostermedizin, Denkmäler berühmter Ärzte, Gedenksäulen, bisher unbeachtete Grabstätten, wer sich Zeit nimmt, etwas zu erfahren, wird mit diesem Buch glücklich werden. Es ist kein Reiseführer für sensationshungrige Eilige, vielmehr ein langsamer Spaziergang-Führer und Lern-Führer in die Wiener Medizin-Geschichte.

 

Steinerne Kröten, Salamander und Schlangen im Stephansdom, der hohe Preis für Leichen zur Sektion, nicht weniger als 140 vermutete Todesursachen Mozarts, die Entstehung der Perkussionstechnik, der Ort, an dem die Blutgruppen entdeckt wurden, der medizinische Türckenkrieg … das und Vieles mehr erfährt, wer sich von Krapfenbauer-Horsky und Petutschnig durch Wien führen lässt. Zum Schluss versteht man, dass die hier wirkenden Ärzte vergangener Zeiten nicht nur Einfluss auf die österreichische, sondern oft auf die europäische Geschichte hatten, wie auch umgekehrt.

 

Sieben der vorgeschlagenen Touren leiten fußläufig durch die Wiener Innenstadt bzw. angrenzende Bezirke. Zur achten Tour (Die Wiener und ihre Nähe zum Tod) ist eine kleine Reise nötig, nämlich zum Zentralfriedhof. Er ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreichbar. Bei der Grabstätte für die Opfer des Ringtheaterbrandes vom 8. Dezember 1881 lernen wir über die erstmals angewandte Identifizierungsmethode anhand der Zahnstellung; wir besuchen die Gräber von Pionieren der Medizin, etwa Theodor Billroth (Magenresektion), Emanuel Kusý Ritter von Dubrav (Errichtung der staatlichen Impfstoffgewinnungsanstalt) oder dem Kinderchirurgen Josef Weinlechner. Auf fünfzehn weitere Gräber berühmter Ärzte wird hingewiesen. Nicht verschwiegen werden auch braune Schatten, nämlich die zweite Seite im Leben von Leopold Schönbauer, dem Begründer der Neurochirurgie, und von Julius Wagner-Jauregg, Psychiater und Nobelpreisträger für Medizin. Ganz zum Schluss kommt wenigstens eine Frau zu Ehren, nämlich Gabriele Possanner von Ehrental, die erste promovierte Medizinerin an einer Universität Österreich-Ungarns.

 

Die stiefmütterliche Behandlung wichtiger Medizinfrauen ist schade – so fehlen etwa das letzte Pestopfer Wiens, die Krankenpflegerin Albine Pecha (Ehrengrab am Zentralfriedhof), die Gynäkologin und Urologin Dora Brücke-Teleky sowie die bedeutende Medizinhistorikerin Erna Lesky. In der nächsten Auflage wären auch ein Namens- sowie ein Ortsregister hilfreich.

 

Ergänzung:

Wer sich bei seinem Rundgang angesichts von Denkmälern oder Büsten großer Ärzte gefragt hat, warum sie gerade so und nicht anders dargestellt sind, sollte sich nach Werken der Kunsthistorikerin Julia Rüdiger umschauen. Sie untersucht, was sich aus der Betrachtung über die kulturellen, institutionellen und politischen Netzwerke und Strukturen erfahren lässt. Etwa im Arkadenhof der Universität Wien, wo wir eine ziemlich arrogant wirkende Denkmalbüste von 1769 sehen:

Der Künstler [Franz Xaver Messerschmidt] inszenierte den Arzt [Gerard van Swieten] in Manier eines Herrscherbildnisses mit gehobenem Haupt und Allongeperücke, in pelzverbrämter Robe mit Orden und einer dynamischen Drehung. Damit bediente er die wichtigsten Merkmale des herrschaftlichen barocken Repräsentationsbildnisses.

Ebenfalls dort begegnet uns Theodor Billroth (1829 -1894) auf seiner Lehrkanzel, mit weißem Kittel, Skalpell und einer anatomischen Zeichnung in der Hand, 1897 von Kaspar Zumbusch in Marmor geformt. Doch die Vorlesungen an der Lehrkanzel hielt Billroth mit Sicherheit im dunklen bürgerlichen Dreiteiler. Im Kittel hingegen sah man ihn nur im OP oder Seziersaal. Dennoch wählte der Künstler für dieses Standbild just die Arbeitskleidung als gestalterisches Moment. (Siehe Wr. Geschichtsblätter 3/2019, S 333-335: Strukturen und Netzwerke - Medizin und Wissenschaft in Wien 1848-1955)

 

Bibiane Krapfenbauer-Horsky - Hans-Peter Petutschnig: Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien. Medizinische Spaziergänge durch die Stadt. Wien: Verlagshaus der Ärzte 2021, 160 Seiten, ISBN 978-3-99052-204-2, € 17,90

 

 

Meine Buchbesprechung erschien in den 'Wiener Geschichtsblättern', 4/2021, hrgg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien.