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»Die Neugier treibt mich, Fragen zu stellen« - Biografien bedeutender österreichischer Wissenschafterinnen
Selten war es so wichtig, vor der Lektüre eines Lexikons das Vorwort zu lesen, um die Schwerpunkte und Auswahlkriterien zu verstehen. Zum ersten ein Blick auf die Finanzierung: Grundlage war das Basisprojekt ‚biografiA.datenbank und lexikon österreichischer frauen‘, hinzu kamen ein Forschungsauftrag des Wissenschaftsministeriums sowie Gelder vom Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus und dem Zukunftsfonds im Bereich der Exilforschung.
Zum zweiten die AutorInnenschaft: Die 300 Biografien stammen aus der Feder von 109 höchst unterschiedlich orientierten AutorInnen: Es handelt sich um WeggefährtInnen, KollegInnen, SchülerInnen, WissenschaftshistorikerInnen, FreundInnen, Familienmitglieder. Ihre Darstellungen reichen „von einer stringenten [Beleuchtung] des wissenschaftlichen Oeuvres bis hin zu sehr persönlich und durchaus emotional gefärbten Erinnerungen […].“
Drittens muss man wissen, dass es quasi einen Vorläuferband gab, nämlich ‚Wissenschafterinnen in und aus Österreich‘ (2002), woraus sich das Fehlen einiger bedeutender Namen (etwa Erna Lesky) erklärt.
Gleich die erste Eintragung ist eindrucksvoll und aussagekräftig: Isabella Ackerl geb. Broneder, Historikerin und Germanistin. Die Darstellung enthält alle wissenswerten Lebensdaten, ihre berufliche Laufbahn (Ministerialrätin), ihre Ehrungen und eine umfangreiche Auswahl ihrer Werke. Die Letzte in der alphabetischen Reihe ist Renée Zindwer, Gynäkologin aus Wien, 1939 in die USA emigriert, zum Schluss stellvertretende Direktorin des Frauen- und Kindergesundheitsdienstes am Staatlichen Gesundheitsamt New York. Zwischen diesen beiden Eckpunkten gibt es u.a. Aktivistinnen, Bibliothekarinnen, Cembalistinnen, Denkmalpflegerinnen, Entomologinnen, Fachschriftstellerinnen, Gartenarchitektinnen, Heimatforscherinnen, Illustratorinnen, Journalistinnen, Kardiologinnen, Lehranalytikerinnen, Madagaskarspezialistinnen, Nationalratspräsidentinnen, Ökonominnen, Pädagoginnen, Rabbinerinnen, Sammlerinnen, Tänzerinnen, Übersetzerinnen, Verbandsfunktionärinnen, Wegbereiterinnen Feministischer Theologie sowie Zeithistorikerinnen.
Zwei davon seien willkürlich herausgegriffen und verglichen: Maria Josefa Habacher, Historikerin, Lehrerin, Archivarin und Bibliothekarin: 5 Seiten detailreiche Biografie, 2,5 Seiten Publikationen, eine halbe Seite Literatur und Quellen. Beschrieben von Cornelia Schörg, selbst Archivarin am Technischen Museum Wien. Im Vergleich dazu Ulrike Aspöck geb. Pirklbauer, Biologin und Entomologin: 2,5 Seiten Biografie, 18,5 Seiten Publikationen (Auswahl), eine halbe Seite Literatur. Beschrieben von Horst Aspöck, dem Ehemann und wissenschaftlichen Kollegen, Erstautor vieler der aufgezählten Publikationen, in allen anderen Fällen Zweit- oder zumindest Ko-Autor, also an einer ausführlichen Darstellung der (gemeinsamen) Meriten sehr interessiert. Er vergisst auch nicht, die Karriere des gemeinsamen Sohnes ins rechte Licht zu rücken.
Hier zeigt sich eine Schwäche des Konzeptes: Die eingangs erwähnten „persönlich und durchaus emotional gefärbten Erinnerungen.“ „Da wir diese Darstellungen als eine durchaus wertvolle Erweiterung des Bestandes gesehen haben, wurde schließlich [!] auf eine strikt einzuhaltende Gestaltung des Textkorpus verzichtet.“ (S 7.) Diese Entscheidung wird vom Leser nicht unbedingt geschätzt. Eine strukturelle Vorgabe und einige Richtlinien für die AutorInnen wären nützlich gewesen, um einerseits persönliche Eitelkeiten hintanzuhalten, andererseits die Orientierung in der mitunter überwältigenden Datenfülle zu erleichtern.
Der Buchtitel ‚Biografien bedeutender österreichischer Wissenschafterinnen‘ lässt erwarten, dass die wissenschaftliche Relevanz minutiöser biografischer Angaben (etwa Tag/Monat/Jahr der Matura) hinterfragt worden wäre. Aber auch die wissenschaftliche Bedeutung ganzer Persönlichkeiten erhellt sich nicht immer, so haben beispielsweise Renée Bittner (Psychologin) oder Henriette Boltzmann (Zoologin und Lehrerin) außer ihrer Dissertation keine wissenschaftlichen Leistungen zu bieten, zumindest sind sie nicht angeführt. Ähnliches gilt für Brigitte Bierlein, zum Zeitpunkt der Drucklegung Juristin und Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, uns heute als tüchtige interimistische Bundeskanzlerin im Gedächtnis, aber nicht als bedeutende Wissenschafterin aufgefallen. Eine Rückfrage bei einer der Herausgeberinnen erbrachte, dass „ein besonderes Schicksal (Flucht, Verfolgung und Exil), aber auch eine interessante Arbeit, eine ungewöhnliche Berufslaufbahn ...“ Kriterien für die Aufnahme in das Werk waren. Weiters sollten auch „unbekannte Wissenschafterinnen“ ihren Platz finden.
Mit dieser Erklärung versehen spießt sich das Urteil der Rezensentin also vorwiegend am Titel des Werkes, der für das wertvolle Unterfangen nicht ideal erscheint.
Ilse Korotin, Nastasja Stupnicki (Hrsg.): »Die Neugier treibt mich, Fragen zu stellen« - Biografien bedeutender österreichischer Wissenschafterinnen
Wien - Köln – Weimar: Böhlau, 2018. 993 Seiten, 978-3-205-20238-7, € 93. Open Access library.oapen.org/handle/20.500.12657/33432
Meine Buchbesprechung erschien in den 'Wiener Geschichtsblättern', 2/2020, hrgg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien.
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